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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sich aufzurichten. Miriamel gab einen bekümmerten Laut von sich, als er ihren Arm von sich wegschob.
    »Binabik? Bist du das?«
    Der schwarze Schatten schob sich herein und ließ die Klappe hinter sich zufallen.
    »Leise. Ich werde eine Kerze anzünden. Sagt nichts.«
    Ein gedämpftes Klirren von Stahl auf Feuerstein, dann ein winziger Funken Glut im Gras am Zelteingang. Gleich darauf hüpfte am Ende eines Dochtes eine Flamme und füllte das Zelt mit weichem Kerzenlicht. Miriamel protestierte benommen und vergrub das Gesicht tiefer in Simons Hals. Er riss vor Staunen die Augen auf.
    Über der Kerze schwebte Josuas mageres Gesicht.
    »Das Grab kann mich nicht halten«, sagte der Prinz lächelnd.

34
Abschied

    imon schlug das Herz bis zum Hals.
    »Prinz Josua?«
    »Leise, Junge.« Josua beugte sich vor. Seine Augen weiteten sich einen Moment, als er den an Simons Brust geschmiegten Kopf sah, dann lächelte er erfreut. »Ah! Gott segne euch beide. Heiratet sie, Simon – ich denke, Ihr werdet nicht viel Überredungskunst brauchen. Sie wird eine prächtige Königin werden, wenn Ihr ihr dabei helft.«
    Simon schüttelte verdutzt den Kopf. »Aber … aber Ihr … gewiss …« Er stockte und holte erst einmal tief Luft. »Ihr seid doch tot! Jedenfalls glaubt das jeder.«
    Josua setzte sich hin und hielt die Kerze so tief, dass sein Körper ihr Licht größtenteils verdeckte. »Eigentlich müsste ich es auch sein.«
    »Tiamak hat gesehen, wie er Euch das Genick brach«, flüsterte Simon. »Und keiner hätte nach uns noch von dort wegkommen können.«
    »Tiamak hat gesehen, wie mich der Hieb traf«, verbesserte ihn Josua. »Und er hätte mir in der Tat das Genick brechen müssen – es tut entsetzlich weh. Aber ich hielt die Hand hoch.« Er streckte den linken Arm aus und zog den zerfetzten Ärmel nach oben. Am dick geschwollenen Gelenk saß noch immer Elias’ Handschelle. Das Metall war flachgedrückt und schartig. »Mein Bruder und Pryrates vergaßen das Geschenk, das sie mir einmal gemacht hatten. Es liegt etwas Poetisches darin – aber vielleicht wollte Gott mir zeigen, dass es sich lohnen kann zu leiden.« Sein Ärmel glitt nach unten. »Noch zwei Tage, nachdem ich wieder zu mir kam, konnte ich dieHand kaum gebrauchen, aber jetzt kommt das Gefühl allmählich zurück.«
    Miriamel bewegte sich und schlug die Augen auf. Einen Moment wurden sie groß vor Schreck, dann setzte sie sich auf und presste die Decke an ihre Brust. »Onkel Josua!«
    Der Prinz legte mit schiefem Lächeln den Finger auf die Lippen. Sie wickelte sich in das Oberteil der Decke – was den größten Teil von Simons Körper der kalten Luft preisgab – und schloss ihren Onkel schluchzend in die Arme. Auch Josua schien nur mühsam die Fassung zu bewahren. Als Miriamel ihn wieder losließ, fiel ihr Blick auf ihre nackte Schulter. Heftig errötend, legte sie sich wieder hin und zog sich die Decke bis an das Kinn. Simon nahm dankbar seine Hälfte wieder an sich.
    »Wie ist es möglich, dass du lebst?«, fragte Miriamel und betupfte sich lachend und weinend die Augen mit dem Deckenzipfel.
    Josua erklärte es noch einmal und zeigte ihr die Handschelle.
    »Aber wie seid Ihr entkommen?« Simon wollte jetzt unbedingt wissen, wie es weiterging. »Der Turm ist doch eingestürzt.«
    Der Prinz wiegte den Kopf. Schatten flackerten über die Zeltwand. »Das ist etwas, das ich selbst nicht sicher weiß. Ich vermute, dass mich Camaris aufgehoben und sofort nach Elias’ Tod nach unten getragen hat. In den letzten Nächten habe ich heimlich an vielen Lagerfeuern gelauscht und eine Menge erfahren. Offenbar herrschte durch den Rauch und die Flammen eine solche Verwirrung, dass Camaris noch vor Euch die Treppe hinuntersteigen konnte. Wir waren von unten in den Turm eingedrungen; ich glaube, er verließ ihn auf demselben Weg. Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich unter freiem Himmel aufwachte, allein am Ufer der Kynslagh. Aber wer außer Camaris wäre stark genug gewesen, mich so weit zu tragen?«
    »Wenn er vor uns hinuntergegangen wäre, hätte Cadrach ihn sehen müssen.« Miriamel verstummte nachdenklich.
    »Es ist ein Wunder«, sagte Simon leise. »Aber warum seid Ihr nicht ins Lager zurückgekehrt? Und was meintet Ihr damit, dass Miriamel Königin werden soll? Was ist mit Euch …?«
    »Ihr versteht nicht«, erwiderte der Prinz ruhig, und in seiner Stimme lag eine seltsame Fröhlichkeit.
    »Ich bin tot, und das will ich auch bleiben.«
    »Wie?«
    »Genau so.

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