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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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verschwitzt und noch zerlumpter als am frühen Morgen, traten sie hinaus zwischen die durchnässten Grashügel.
    Nach einem kurzen Ritt durch höckriges Wiesenland erreichten sie am späten Vormittag die Flussstraße. Hier lag kein Schnee, aber der Himmel hing düster und bedrohlich über ihnen, und der dichte Walddunst schien ihnen gefolgt zu sein, denn soweit das Auge reichte, bedeckte Nebel das Land.
    Die Flussstraße selbst war so gut wie ausgestorben. Unterwegs begegnete ihnen nur ein einziger Wagen, vollgestopft mit einer ganzen Familie und ihrer Habe. Der Fuhrmann, ein verhärmter Mensch, der älter aussah, als er wahrscheinlich war, schien von der Anstrengung, Simon und Miriamel im Vorbeifahren zuzunicken, völlig erschöpft. Die Prinzessin drehte sich um und schaute dem Wagen nach, der, von einem dürren Ochsen gezogen, langsam westwärts rollte. Sie fragte sich, ob die Leute wohl zum Sesuad’ra wollten, um Josua zu finden. Der Mann, seine Frau und die stillen Kinder sahen so traurig und müde aus. Sie empfand Mitleid bei dem Gedanken, dass sie nur auf ein bereits verlassenes Lager stoßen würden, und war versucht, die Familie zu warnen. Aber sie verhärtete ihr Herz und kehrte ihnen den Rücken. Es wäre eine gefährliche Torheit gewesen – in Erkynland zu verraten, dass sie etwas über Josua wusste, würde weit mehr Aufmerksamkeit erregen, als sie brauchen konnten.
    Die wenigen Weiler, an denen sie vorbeikamen, als der Vormittag langsam in den Nachmittag überging, schienen fast verlassen. Nur ein paar graue Fäden, die aus den Rauchfängen einzelner Häuserstiegen, deuteten darauf hin, dass in dieser bedrückenden Gegend noch Menschen ihr Dasein fristeten. Falls hier früher Bauerndörfer gewesen waren, gab es dafür kaum noch Anzeichen. Die Felder waren von dunklem Unkraut überwuchert, Tiere nirgends zu sehen. Miriamel ahnte, dass die Zeiten hier wohl genauso schwer waren wie anderswo in Erkynland und die Bewohner die wenigen Kühe, Schafe und Schweine, die sie noch nicht verzehrt hatten, eifersüchtig hüteten.
     
    »Ich weiß nicht, ob wir noch allzu lange auf dieser Straße bleiben sollten.« Miriamel spähte vom breiten, morastigen Dammweg in den rötlicher werdenden Westhimmel.
    »Wir haben den ganzen Tag kaum ein Dutzend Leute gesehen«, erwiderte Simon. »Und wenn man uns verfolgt, halten wir uns besser im offenen Gelände, wo wir sehen können, wer auf uns zukommt.«
    »Aber wir werden bald die Ausläufer von Stanshire erreichen.« Miriamel hatte die Gegend ein paar Mal mit ihrem Vater besucht und wusste einigermaßen, wo sie sich gerade befanden. »Das ist ein viel größerer Ort als diese kleinen Dörfer, an denen wir vorbeigekommen sind. Dort werden bestimmt mehr Leute auf der Straße sein – und vielleicht auch Wachsoldaten.«
    Simon zuckte die Achseln. »Gut möglich. Was wollen wir also tun – über die Felder reiten?«
    Miriamel nickte. »Ich glaube nicht, dass es jemandem auffallen oder die Leute stören wird. Hast du nicht gesehen, dass überall an den Häusern die Läden geschlossen sind? Es ist zu kalt, um aus dem Fenster zu schauen.«
    Als Antwort stieß Simon eine Atemnebelwolke aus und lächelte. »Wie Ihr wollt. Nur seid vorsichtig, damit wir die Pferde nicht in einen Sumpf führen. Es wird jetzt bald dunkel.«
    Sie lenkten die Tiere von der Straße und durch eine Hecke aus schütterem Buschwerk. Die Sonne war fast untergegangen und am Horizont nur noch ein dünner Streifen Scharlachrot sichtbar. Der Wind frischte auf und peitschte das hohe Gras.
    Als sie auf die ersten Ausläufer von Stanshire stießen, hatte sichder Abend über die Hügellandschaft gelegt. Die Stadt erstreckte sich zu beiden Seiten des Flusses, in der Mitte durch eine Brücke verbunden. Am Nordufer reichten die dichtgedrängten Häuser fast bis unter das Vordach des Waldes. Auf einer Anhöhe hielten Simon und Miriamel an und blickten auf die funkelnden Lichter hinunter.
    »Es ist kleiner geworden«, meinte die Prinzessin. »Früher hat die Stadt das ganze Tal ausgefüllt.«
    Simon kniff die Augen zusammen. »Ich glaube, das tut sie immer noch – seht, die Häuser gehen bis ganz hinüber zur anderen Seite. Aber nur in der Hälfte brennen Feuer oder Lampen.« Er zog die Handschuhe aus, um auf seine Finger zu hauchen. »So. Und wo wollen wir übernachten? Habt Ihr Geld für eine Herberge bei Euch?«
    »Wir schlafen nicht in einem Haus.«
    Simon hob die Brauen. »Nein? Aber wenigstens können wir doch

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