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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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irgendwo eine warme Mahlzeit einnehmen.«
    Miriamel warf ihm einen langen Blick zu. »Ich glaube, du hast es immer noch nicht verstanden, Simon. Dies hier ist das Land meines Vaters. Ich bin selbst schon an diesem Ort gewesen. Und es gibt so wenige Reisende auf der Straße, dass uns die Menschen, selbst wenn sie uns nicht erkennen, Fragen stellen würden.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht wagen. Du könntest gehen und irgendwo etwas zu essen kaufen – ich habe ein bisschen Geld mitgenommen –, aber in einer Herberge übernachten? Genauso gut könnten wir uns einen Trompeter mieten, der unsere Ankunft verkündet.«
    In dem trüben Licht sah Miriamel nicht, wie Simon errötete, aber seine Stimme hatte einen zornigen Unterton. »Wenn Ihr meint.«
    Miriamel bezwang ihre eigene Empörung. »Bitte, Simon. Glaubst du nicht, dass ich mir auch liebend gern das Gesicht waschen, mich auf eine Bank setzen und ein richtiges Abendessen zu mir nehmen würde? Ich versuche nur, das Richtige zu tun.«
    Simon betrachtete sie kurz und nickte dann. »Tut mir leid. Ihr habt vollkommen recht. Ich war einfach enttäuscht.«
    Miriamel empfand plötzlich heftige Zärtlichkeit für ihn. »Ich weiß. Du bist ein guter Freund.«
    Er sah sie scharf an, antwortete aber nicht. Sie ritten hinunter in das Tal von Stanshire.
    Irgendetwas stimmte nicht mit der Stadt. Miriamel erinnerte sich von ihrem Besuch her, der freilich ungefähr ein halbes Dutzend Jahre zurücklag, an einen blühenden, geschäftigen Ort, in dem hauptsächlich Bergleute und ihre Familien lebten, einen Ort, dessen schmale Straßen selbst nachts voller Lampenlicht und Leben waren. Jetzt aber schienen es die wenigen Vorübergehenden eilig zu haben, wieder in ihre Häuser zu kommen, und selbst die Schenken waren still wie Klöster und fast völlig leer.
    Miriamel wartete im Schatten vor dem Keil und Käfer , während Simon ein paar von ihren Cintis-Stücken für Brot, Milch und Zwiebeln ausgab.
    »Als ich den Wirt nach einem Stück Hammelfleisch fragte, hat er mich bloß angestarrt«, berichtete er. »Es muss ein sehr schlimmes Jahr gewesen sein.«
    »Hat er dir Fragen gestellt?«
    »Nun, er wollte wissen, woher ich komme.« Simon knabberte schon am Brot. »Ich sagte ihm, ich sei ein Wachszieher aus dem Hasutal und suche Arbeit. Da hat er mich wieder so sonderbar angeschaut und gesagt: ›Na, dann hast du ja selber schon gemerkt, dass es hier keine Arbeit gibt, wie?‹ Nur gut, dass er keine Arbeit für mich hatte, denn ich habe schon längst vergessen, wie man Kerzen macht. Aber er fragte mich noch, wie lange ich schon vom Hasutal weg wäre und ob es stimmte, was sich hier alle Leute zuflüsterten, dass es nämlich dort in den Bergen spukt.«
    »Spukt?« Miriamel fühlte, wie es ihr kalt den Rücken hinablief. »Das hört sich nicht gut an. Was hast du geantwortet?«
    »Dass ich schon lange unterwegs wäre, natürlich. Ich wäre im Süden gewesen, auf der Suche nach Arbeit. Und bevor er dann auch noch danach fragen konnte, habe ich ihm erzählt, meine Frau wartete oben an der Flussstraße im Wagen auf mich und ich müsste gehen.«
    »Deine Frau?« Simon grinste. »Na, irgendetwas musste ich ihm doch sagen, oder? Warum sollte ein Mann sonst sein Essen nehmen und sich sofort wieder ins Kalte stürzen?«
    Miriamel schnaubte und kletterte in den Sattel. »Wir sollten uns jetzt einen Platz zum Schlafen suchen, auch wenn es nur für ein paar Stunden ist. Ich bin todmüde.«
    Simon sah sich um. »Ich habe keine Ahnung, wohin wir hier gehen könnten. Man kann einfach nicht sicher sein, welche Häuser wirklich leer stehen, auch wenn man weder Rauch noch Licht sieht. Die Bewohner können fortgegangen sein, aber vielleicht haben sie auch einfach kein Brennholz mehr.«
    Ein leichter Regen setzte ein.
    »Wir sollten ein Stück weiterreiten. Am westlichen Stadtrand finden wir vielleicht eher eine leere Scheune oder einen Schuppen. Außerdem gibt es dort einen Steinbruch, einen riesengroßen.«
    »Klingt ausgezeichnet.« Simon biss in eine der recht verschrumpelt aussehenden Zwiebeln. »Reitet voran.«
    »Aber wehe dir, wenn du versehentlich mein Abendessen aufisst!«, warnte Miriamel düster. »Und verschütte keine Milch.«
    »Niemals, Herrin«, erwiderte Simon.
     
    Während sie auf der Triefholzstraße, einer der Hauptverkehrsadern von Stanshire, nach Westen ritten, wollten Miriamel Simons Worte nicht aus dem Kopf gehen. Ihr war seltsam beklommen zumute. Man konnte tatsächlich

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