Der Engelsturm
würden.«
»Das ist anständig«, antwortete der Junge ernsthaft. »Und ritterlich.«Metessa war mehr als nur irgendeine ländliche Nabbanai-Baronie. Es grenzte an den äußersten Rand der Thrithinge und bestand aus einem großen, einträglichen Stück Land voller Hügel und weiter Wiesen. Selbst nach dem der Jahreszeit nicht entsprechenden Schnee schimmerte die wellige Landschaft grün. Ein Nebenfluss des Stefflod schlängelte sich durch die Weiden wie ein silbernes Band und glänzte sogar unter dem stumpfgrauen Himmel noch hell auf. Verstreut auf den Hängen grasten Schafe und ein paar Kühe.
Chasu Metessa, die Burg des Barons, stand seit den Tagen der späten Imperatoren auf einer der höchsten Erhebungen der Gegend und schaute hinab in die Täler mit ihren kleinen Bauernhöfen und Freigütern, so wie es jetzt Isgrimnur tat.
Nach einer Weile kehrte er dem Fenster den Rücken. Pasevalles trabte bereits unruhig auf und ab. »Kommt jetzt und seht Euch die Rüstungen an!«
»Das hört sich nach den Dingen an, die du mir lieber nicht zeigen solltest.«
»Nein, es sind alte Rüstungen.« Isgrimnurs Begriffstutzigkeit schien den Kleinen zu ärgern. »Ganz alte.«
Der Rimmersmann ließ sich fortziehen. Der Tatendrang des Jungen schien unermüdlich zu sein.
Wenn Isorn so anstrengend gewesen wäre, dachte Isgrimnur belustigt, hätte ich ihn wahrscheinlich hinaus in die Frostmark geschleppt und dort ausgesetzt, wie sie es früher taten, wenn sie zu viele Mäuler zu stopfen hatten.
Pasevalles führte ihn durch ein Gewirr von Gängen und vorbei an zahlreichen Bewohnern der Burg, die den Herzog erschrocken anstarrten, bis sie zu einem Eckturm kamen, der scheinbar erst in jüngerer Zeit an die alte Festung angebaut worden war. Nachdem sie weit mehr Stufen hinaufgeklettert waren, als es Isgrimnurs schmerzendem Rücken guttat, gelangten sie ganz oben in einen vollgestopften Raum. Die Decke war länger nicht gefegt worden, sodass ein Vorhang von Spinnweben fast bis auf Kopfhöhe herunterhing, und eine dicke Staubschicht bedeckte den Boden und die rohgezimmerte Einrichtung. Trotzdem war Isgrimnur von dem Anblick beeindruckt.
Überall waren hölzerne Rüstungsständer aufgebaut, die den Raum beherrschten wie stumme Wächter. Anders als die übrigen Gegenstände in der runden Kammer waren sie verhältnismäßig sauber. Auf allen Gestellen hingen vollständige Rüstungen, aber – wie Pasevalles schon so ärgerlich erklärt hatte – keine neuen. Helme, Brustharnische und die seltsamen Röcke aus Metallstreifen waren von einer Machart, wie sie Isgrimnur bisher nur auf uralten Gemälden in der Sancellanischen Mahistrevis gesehen hatte.
»Das sind ja Rüstungen des Imperiums!«, sagte er staunend. »Oder verflucht gute Nachahmungen.«
Wieder richtete sich Pasevalles zu voller Höhe auf. »Es sind keine Nachahmungen! Sie sind echt. Mein Vater hütet sie seit vielen Jahren. Mein Großvater hat sie in der großen Stadt gekauft.«
»In Nabban«, sagte Isgrimnur sinnend. Er schritt die Reihen entlang und prüfte die unterschiedlichen Monturen, wobei er mit dem geschulten Blick des Kriegers erkannte, welche fehlerhaft zusammengesetzt waren und bei welchen lediglich Stücke der ursprünglichen Ausstattung fehlten. Das Metall, das die Handwerker der alten Imperatoren verwendet hatten, war schwerer als das heutzutage übliche, aber die Rüstungen waren wundervoll gearbeitet. Er beugte sich näher, um einen Helm zu untersuchen, der einen Helmschmuck aus ineinander verschlungenen Seedrachen zeigte. Um besser sehen zu können, blies er eine dünne Staubschicht zur Seite.
»Sie sind lange nicht mehr poliert worden«, meinte er gedankenverloren.
»Mein Vater war krank.« Die Stimme des kleinen Pasevalles klang plötzlich unzufrieden. »Ich gebe mir Mühe, sie sauber zu halten, aber sie sind so hoch, dass ich nicht überall herankomme, und so schwer, dass ich sie nicht herunterheben kann.«
Isgrimnur sah sich nachdenklich im Raum um. Die leeren Rüstungen kamen ihm vor wie die Zuhörer bei einem Raed, die dasaßen und auf eine Entscheidung warteten. Eigentlich hatte er noch viel zu tun. Hatte er nicht schon genug Zeit mit diesem Jungen vertrödelt? Er trat an das Turmfenster und spähte hinaus in den grauen Westhimmel.
»Wir essen erst in ungefähr einer Stunde«, erklärte er dann, »underst danach werden dein Onkel und Prinz Josua über die wichtigen Dinge sprechen. Darum geh und hol mir das Putzzeug deines Vaters, zumindest aber
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