Der Engelsturm
einen Staubwedel, damit wir den Staub wegbekommen. Zusammen können wir in kurzer Zeit damit fertig sein.«
Der Junge schaute mit großen Augen zu ihm auf. »Wirklich?«
»Wirklich. Ich habe es ohnehin nicht eilig, diese vielen Stufen wieder hinunterzusteigen.« Der Kleine starrte immer noch. »Wach auf, Kind, lauf schon. Und bring ein paar Lampen mit, es wird bald dunkel.«
Der Junge rannte schnell wie ein Hase zur Tür hinaus und die schmale Wendeltreppe hinunter. Isgrimnur sah ihm kopfschüttelnd nach.
Der Bankettsaal von Chasu Metessa besaß auf jeder Seite einen Kamin und war trotz der kalten Jahreszeit warm und hell. Die Mitglieder des Hofs, Landbesitzer aus dem ganzen Tal, waren offenbar in ihrem besten Staat erschienen. Viele der Frauen trugen lange, glitzernde Kleider und kaum weniger absonderlichen und phantastischen Kopfputz, als man ihn in der Sancellanischen Mahistrevis selbst zu sehen bekam. Dennoch fiel Isgrimnur die bedrückte Stimmung auf, die wie ein Nebel über dem riesigen Raum mit den hohen Deckenbalken lag. Die Edeldamen redeten rasch und lebhaft und lachten über Nichtigkeiten; die Männer schwiegen meist und sprachen das wenige, das sie zu sagen hatten, hinter vorgehaltener Hand.
Gleich zu Anfang hatte man ein Fass mit teligurischem Wein angestochen und damit begonnen, den Inhalt im Saal auszuschenken. Isgrimnur bemerkte, dass Josua, der zur Rechten ihres Gastgebers Baron Seriddan saß, seinen Pokal zwar oft zum Munde führte, sich aber von dem Pagen, der neben ihm stand, das Gefäß nicht nachfüllen ließ. Der Herzog sah diese Mäßigkeit mit Beifall. Der Prinz war auch unter günstigeren Umständen kein großer Trinker, aber da die Aussicht, Benigaris vom Thron des Herzogtums zu stoßen, heute Nacht vielleicht auf Messers Schneide stand, war es doppelt wichtig, dass Josuas Verstand scharf und seine Zunge vorsichtig blieb.
Während der Herzog sich so umschaute, blieb sein Blick an einemhellen Schimmer in der Türöffnung hängen, ganz am anderen Ende der Halle. Isgrimnur kniff die Augen zusammen und grinste tief in seinen Bart. Es war der kleine Pasevalles, der bestimmt wieder seiner Mutter und ihren Damen ausgerissen war. Isgrimnur zweifelte nicht daran, dass er unbedingt echten Rittern bei Tisch zusehen wollte.
Na, vielleicht sieht er mehr als genug.
Jetzt stand Baron Seriddan Metessis von seinem Platz am Kopfende der Tafel auf und hob den Pokal. Hinter ihm spreizte auf einem Wandbanner der blaue Kranich, das Wahrzeichen des metessanischen Hauses, die langen Schwingen.
»Wir wollen unsere Besucher begrüßen«, sagte der Baron und lächelte dabei ironisch, sodass sein sonnengebräuntes, bärtiges Gesicht noch ein paar Falten mehr bekam. »Ohne Zweifel gelte ich bereits als Verräter, Prinz Josua, weil ich Euch die Tore geöffnet habe, darum kann es auch nicht mehr schaden, wenn ich nun auf Eure Gesundheit trinke.«
Isgrimnur stellte fest, dass ihm Seriddan gefiel und er ihm Achtung zollen musste. Der Baron entsprach ganz und gar nicht dem liebevoll gepflegten Vorurteil des Herzogs von den verweichlichten Edelleuten von Nabban. Mit seinem Stiernacken und dem wettergegerbten Bauerngesicht hatte Seriddan eher etwas von einem freundlichen Banditen. Seine Augen waren klug und spöttisch. Er beherrschte die Westerlingsprache so gut, dass sich Isgrimnur über die Ausdrucksweise seines Neffen Pasevalles nicht mehr wunderte.
Nachdem die Gläser geleert waren, stand auch Josua auf und hob seinen Kelch, um den Bewohnern von Chasu Metessa für ihre Gastfreundschaft zu danken. Man antwortete ihm mit höflichem Lächeln und beifälligem Gemurmel, das allerdings etwas gezwungen klang. Als der Prinz wieder Platz nahm, setzten auch die geflüsterten Tischgespräche von neuem ein, bis Seriddan mit einer Gebärde um Ruhe bat.
»So«, sagte er so laut zu Josua, dass alle an der Tafel es hören konnten. »Nun haben wir die Pflichten guter Ädoniten erfüllt, und manch einer könnte sogar sagen, dass wir mehr als das getan haben, wenn man bedenkt, dass Ihr uneingeladen und mit einem ganzen Heer hinter Euch in unserem Land erschienen seid.« Seine Augenüber dem lächelnden Mund waren kühl. »Werden wir morgen früh Eure Fersen sehen, Josua von Erkynland?«
Isgrimnur unterdrückte einen überraschten Ausruf. Er war davon ausgegangen, dass der Baron die weniger wichtigen Mitglieder seiner Gefolgschaft fortschicken würde, um dann im kleinen Kreis mit dem Prinzen zu reden. Aber offenbar hatte
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