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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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weite Mäntel trugen, verrieten ihre schwerfälligen Bewegungen, dass sie keine Nornen waren.
    »Da hast du ein paar deiner Brüder!«, trompetete Akhenabi. »Sie sind unsere Gäste. Willst du auch sie für eure unsterblichen Verbündeten sterben sehen?«
    Die beiden Gestalten verharrten stumm, schlaff und hoffnungslos. Ihre Gesichter in den im Wind flatternden Kapuzen gehörten unverkennbar Menschen und nicht Gartengeborenen.
    Ohnmächtiger Grimm erfüllte Eolair. »Lass sie frei!«
    Der Norne lachte auf. »O nein, kleiner Sterblicher. Dazu genießen unsere Gäste ihren Aufenthalt hier viel zu sehr. Möchtest du sehen, wie wohl sie sich hier fühlen? Vielleicht tanzen sie ja für dich.« Er hob die Hand und vollführte eine schwungvolle Gebärde. Langsam fingen die beiden Gestalten an sich zu drehen. Es war grauenvoll, wiesie ihre Arme schwenkten, als äfften sie einen höfischen Tanz nach. Sie torkelten nach rechts und links und stolperten vor dem grinsenden Nornen aufeinander zu. Sie ergriffen einander bei den Armen, wobei sie gefährlich nah am Rand der hohen Mauer schwankten, trennten sich wieder und drehten sich einzeln weiter.
    Durch den Schleier von Tränen, der ihm die Augen trübte, sah Eolair, wie Jiriki sein Ross ein paar Ellen näher an den Wall spornte. Der Sitha hob den Bogen. Mit einer Bewegung, so geschwind, dass man sie kaum wahrnehmen konnte, zog er aus dem Köcher an seinem Sattel einen Pfeil, legte ihn auf die Sehne und spannte den Bogen zur weiten, bebenden Krümmung. Das Grinsen des Nornen Akhenabi auf der Mauer wurde noch breiter. Er machte eine sonderbare, schlängelnde Bewegung und war gleich darauf verschwunden. Nur die beiden grässlich auf der Stelle tanzenden Gestalten ließ er zurück.
    Jirikis Pfeil schwirrte. Er traf den einen der Tänzer in den Fuß, riss ihm das Bein weg. Er wankte und krallte sich am Gewand des anderen fest. Nur kurz ruderten sie mit den Armen, dann stürzten sie von der Mauer und prallten zwanzig Ellen tiefer mit einem schrecklichen, schmatzenden Geräusch auf die schneebedeckten Felsen. Mehrere der Hernystiri schrien oder stöhnten auf.
    »Beim Blute Rhynns!«, brüllte Eolair. »Was habt Ihr getan!«
    Jiriki ritt vor, wobei er ein wachsames Auge auf die nun leere Mauer hielt. Als er zu den übereinanderliegenden Körpern kam, stieg er ab, kniete nieder und winkte Eolair heran.
    »Warum habt Ihr das getan, Jiriki?«, fragte der Graf. Die Kehle war ihm so eng, als würgte ihn jemand. »Der Norne war doch fort.« Er starrte auf die verzerrten Gestalten in den dunklen Gewändern. Die Hände und Finger, die aus den Ärmeln hervorragten, waren noch immer gespreizt, als versuchten sie noch immer, nach einem festen Halt zu greifen. »Wolltet Ihr ihnen die Folter ersparen? Wenn es uns gelingt, die Nornen zu vertreiben – besteht für die Gefangenen keine Aussicht auf Rettung?«
    Jiriki antwortete nicht, sondern griff mit überraschender Behutsamkeit nach unten und drehte den ihm am nächsten liegenden Körper um. Er zog ihn ein Stück näher, um ihn von seinem Gefährten,der halb über ihm lag, zu trennen und schob dann die Kapuze zurück.
    »Brynioch!«, röchelte Eolair. »Brynioch von den Himmeln bewahre uns!«
    Das Gesicht hatte keine Augen, nur schwarze Löcher. Die Haut war wächsern und an verschiedenen Stellen durch die Wucht des Aufschlags geplatzt, aber nirgends war Blut zu sehen. Es bestand kein Zweifel, dass es sich hier um keinen frischen Leichnam handelte.
    »Wer immer er war, er ist tot, seit Naglimund fiel«, erklärte Jiriki leise. »Ich glaube nicht, dass es noch lebende Gefangene in diesen Mauern gibt.«
    Graf Eolair merkte, dass ihm übel wurde. Er wandte sich ab. »Aber sie … sie haben sich bewegt …«
    »Einer der Roten Hand ist hier der Herr«, sagte Jiriki. »Das wissen wir nun, denn kein anderer ist zu so etwas imstande. Ihre Macht ist ein Teil der Macht ihres Meisters.«
    »Aber weshalb?« Eolair betrachtete die verkrümmten Toten und sah dann auf das Heer der Menschen und Sithi im Schnee hinaus. »Weshalb tun sie so etwas?«
    Jiriki schüttelte den Kopf, und sein Haar war so weiß und vom Wind verweht wie das des Wesens, das sie von der Mauer aus verhöhnt hatte. »Ich kann es nicht sagen. Aber Naglimund wird nicht fallen, ohne dass wir dem Entsetzlichen trotzen müssen, davon bin ich überzeugt.«
    Eolair warf einen Blick auf Maegwin und Isorn, die voller Angst auf ihn warteten. »Und ein Zurück wird es nicht geben.«
    »Nein. Ich

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