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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Ähnlichkeit hatten und der Unterschied vor allem im Rhythmus und der härteren Aussprache des Schwarzgewandeten lag.
    Die Unterredung schien kein Ende nehmen zu wollen. Hinter Eolair entstand Bewegung. Er zuckte zusammen. Sein Pferd erschrak und stampfte im Schnee. Die himmelshaarige Zinyadu, Meisterin der Überlieferungen, hatte ihr Ross zu den Sterblichen hinübergelenkt.
    »Sie sprechen über den Vertrag vom Sesuad’ra.« Ihre Augen waren auf Likimeya und ihr Gegenüber gerichtet. »Sie erzählen von altem Herzeleid und den Trauerliedern, die noch gesungen werden müssen.«
    »Warum reden sie so lange?«, erkundigte Isorn sich heiser. »Dieses Warten ist furchtbar.«
    »Es ist unsere Art.« Zinyadus Lippen wurden schmal. Das magere Gesicht schien aus blassgoldenem Stein gemeißelt. »Obwohl sie sich auch nicht daran gehalten haben, als sie Amerasu ermordeten.«
    Mehr erklärte sie nicht. Eolair blieb nichts übrig, als voller Furcht und Unruhe abzuwarten, bis ihn schließlich eine gewisse grausigeLangeweile befiel, während vor ihm Herausforderung und Erwiderung ausgetauscht wurden.
    Endlich wandte das Wesen auf dem Wall seine Aufmerksamkeit für einen Augenblick von Likimeya ab. Seine Augen fanden den Grafen und seine paar Dutzend Hernystiri. Mit einer Bewegung, dramatisch wie die eines Wanderschauspielers, warf der Schwarzgewandete die Kapuze ab und enthüllte ein hagelweißes Gesicht und feines, farbloses Haar, das im Wind aufstob und tanzte wie die Fäden einer Seeanemone im Wasser.
    »Shu do-tkzayha!« , rief der Norne in beinahe jubelndem Ton. »Sterbliche! Sie werden Eurer Familie noch den Tod bringen, Likimeya Mondauge!« Er – wenn es ein Er war – sprach die Westerlingsprache mit der harschen Präzision eines Jägers, der den Todesschrei eines Kaninchens nachahmt. »Seid Ihr so schwach, dass Ihr diesen Pöbel zu Hilfe gerufen habt? Das ist wohl kaum Sinnachs großes Heer!«
    »Ihr haltet die Burg eines Sterblichen besetzt«, antwortete Likimeya kalt. Jiriki neben ihr saß noch immer auf seinem Pferd, ohne sich zu rühren. Sein Gesicht, scharfgeschnitten und knochig, verriet nichts von seinen Empfindungen. Wieder fragte sich Eolair, wie ein Mensch je glauben konnte, er begreife die Sithi. »Und Euer Gebieter und Eure Gebieterin haben sich in die Streitigkeiten der Menschen eingemischt. Es gibt nichts, mit dem Ihr prahlen könntet.«
    Der Norne lachte, ein Geräusch, als kratzten Fingernägel auf Schiefer. »Ja, wir benutzen sie. Sie sind wie Ratten, die sich in die Mauer unseres Hauses gegraben haben – vielleicht ziehen wir ihnen das Fell ab und verarbeiten es zu Handschuhen, aber wir laden sie nicht ein, mit uns am Tisch zu essen. Das ist Eure Schwäche, so wie es die Schwäche von Amerasu Schiffgeborener war.«
    »Erwähnt sie nicht!«, rief Jiriki. »Euer Mund ist zu schmutzig, um ihren Namen zu nennen, Akhenabi!«
    Das Geschöpf auf der Mauer lächelte, eine weiße Falte im Weiß.
    »Ah … der kleine Jiriki. Ich habe Geschichten von Euch und Euren Abenteuern gehört. Ihr hättet zu uns in den Norden kommen sollen, in unser kaltes Land. Dort wärt Ihr stark geworden. Diese Duldsamkeit gegenüber den Sterblichen ist eine unerträgliche Schwäche. Sieist ein Grund, weshalb Euer Geschlecht heruntergekommen ist, während das meine immer härter wird, immer besser darin, zu tun, was getan werden muss.« Der Norne wandte sich ab und hob den Kopf, sodass seine Worte jetzt an Eolair und die unruhig flüsternden Hernystiri gerichtet waren. »Sterbliche! Ihr setzt mehr als nur euer Leben aufs Spiel, wenn ihr an der Seite dieser Unsterblichen kämpft. Ihr wagt eure Seelen!«
    Eolair konnte das erschrockene Getuschel in seinem Rücken hören. Er trieb sein Pferd ein Stück auf die Mauer zu und reckte das Schwert in die Höhe. »Das sind leere Drohungen!«, schrie er. »Versucht es doch! Unsere Seelen gehören uns!«
    »Graf Eolair!«, rief Maegwin ihm nach. »Nein! Es ist Scadach, das Loch im Himmel. Geht nicht näher!«
    Akhenabi beugte sich nach unten und musterte den Grafen aus stechenden, schwarzen Augen. »Du bist der Anführer der Sterblichen? Nun, kleiner Mann, wenn du für dich selbst und deine Krieger nicht fürchtest, wie steht es mit den Sterblichen, die noch Gefangene in diesen Mauern sind?«
    »Was soll das?«, schrie Eolair.
    Das Wesen im schwarzen Gewand drehte sich um und hob die Arme. Gleich darauf erschienen mit unsicheren Schritten zwei weitere Gestalten auf der Mauer. Obwohl auch sie

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