Der Engelsturm
zurückgekehrt?«
»Nicht die Toten, Eneppa«, antwortete Josua. »Camaris ist nicht gestorben, aber er war viele Jahre ohne klaren Verstand.«
»Aber obwohl ich dein Gesicht kenne, liebe Frau«, sagte der alte Ritter halb fragend, »kommt mir dein Name nicht bekannt vor. Vergib mir. Es ist lange, lange her.«
Eneppa fing von neuem an, heftig zu weinen, aber sie lachte dabei. »Weil das damals nicht mein Name ist. Als ich arbeite … in großes Haus Eures Herrn Vater … sie nennen mich Fuiri … heißt Blume.«
»Fuiri.« Camaris nickte. »Natürlich. Ich erinnere mich. Du warst ein hübsches Mädchen und hattest ein freundliches Lächeln für jeden.« Er nahm ihre runzlige Hand, beugte sich darüber und küsste sie. Sie glotzte ihn mit offenem Mund an, als stünde Gott selbst vor ihr und lüde sie zu einer Fahrt im feurigen Wagen durch seinen Himmel ein. »Sei bedankt, Fuiri. Du hast mir ein Stück meiner Vergangenheit wiedergeschenkt. Bevor ich diesen Ort verlasse, würde ich gern mit dir am Feuer sitzen und plaudern.«
Man half der schniefenden Köchin aus dem Saal.
Seriddan und Brindalles machten einen betäubten Eindruck. Auch die anderen Gefolgsleute des Barons waren wie vom Donner gerührt, und eine ganze Zeit lang fiel kein einziges Wort. Josua, der ahnen mochte, wie groß der Schock war, den der Baron heute Abend erlebt hatte, saß da und wartete ab. Camaris, in seiner Identität nunmehr bestätigt, hatte wieder Platz genommen und schwieg ebenfalls. Aus halbgeschlossenen Lidern schien er in die tanzenden Flammen des Kamins auf der anderen Seite der Tafel zu blicken, aber Isgrimnur wusste, dass es ein anderer Ort zu einer anderen Zeit war, der ihm vor Augen stand.
Ein plötzliches Getuschel unterbrach die Stille. Köpfe drehten sich. Isgrimnur sah auf und erkannte Pasevalles, der breitbeinig in die Halle stapfte, etwas Großes und Glänzendes an den kleinen Körper gedrückt. Er blieb in der Tür stehen, warf einen zögernden Blick auf Camaris und trottete dann, schwerfällig unter seiner Last, auf seinen Onkel zu.
»Das hier habe ich für Herrn Camaris gebracht, wenn es Euch recht ist«, erklärte er. Die stockende Stimme wollte zu den kühnen Worten nicht ganz passen. Seriddan schaute ihn einen Augenblick stumm an und bekam plötzlich große Augen. »Das ist doch einer der Helme aus der Kammer deines Vaters!«
Pasevalles nickte feierlich. »Ich möchte ihn Herrn Camaris schenken.«
Ratlos sah Seriddan auf seinen Bruder. Brindalles musterte seinen Sohn und warf dann einen kurzen Blick auf den noch immer gedankenversunkenen Camaris. Endlich zuckte er die Achseln. »Er ist, wer er zu sein behauptet. Es gibt keine Ehre, die er nicht verdient hätte, Seriddan.« Zu seinem Sohn sagte der Mann mit dem schmalen Gesicht: »Es war richtig, dass du zuerst gefragt hast.« Sein Lächeln war fast geisterhaft. »Vermutlich muss man manchmal Dinge von ihrem Sockel nehmen, entstauben und wieder in Gebrauch setzen. Geh schon, Junge. Gib ihm den Helm.«
Isgrimnur beobachtete fasziniert, wie Pasevalles an ihm vorüberschritt, den schweren Seedrachenhelm fest umklammert, die Augen so furchtsam geradeaus gerichtet, als marschiere er in die Höhle eines menschenfressenden Riesen. Vor dem alten Ritter hielter an und verharrte wortlos, obwohl er aussah, als würde er jeden Moment unter dem Gewicht des Helms zusammenbrechen.
Endlich blickte Camaris auf. »Nun?«
»Mein Vater und mein Onkel haben mir erlaubt, Euch das hier zu schenken.« Pasevalles versuchte mühsam, Camaris den Helm entgegenzuheben. Der alte Ritter überragte den Jungen selbst im Sitzen. »Er ist sehr alt.«
Ein Lächeln trat auf Camaris’ Züge. »Wie ich, hm?« Er streckte die großen Hände aus. »Lass mich sehen, junger Herr.« Er drehte das goldene Ding ins Licht. »Das ist ein Helm des Imperiums«, bemerkte er verwundert. »Er ist wirklich alt.«
»Er hat dem Imperator Anitulles gehört, zumindest glaube ich das«, erklärte Brindalles vom anderen Ende des Saals. »Wenn Ihr ihn haben möchtet, gehört er Euch, Herr Camaris.«
Der alte Mann prüfte noch einmal den Helm und setzte ihn dann vorsichtig auf. Seine Augen verschwanden im Dunkel der Wölbung, und der Wangenschutz stand auf beiden Seiten messerscharf von seinem Kinn ab. »Er passt nicht schlecht.«
Pasevalles sah zu dem alten Mann und den sich windenden Meerdrachen auf, die mit gesträubten Flossen oben auf dem Helm drohten. Sein Mund stand offen.
»Danke, mein Junge.« Camaris nahm
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