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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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offene Enttäuschung. »Natürlich, Miri.«
    »Sei nicht böse … ich fühle mich so krank.« Sie legte sich hin und zog sich den Mantel eng unter das Kinn. Um sie herum schien die Dunkelheit sich langsam zu drehen. Noch einmal sah sie Simons schwarzen Umriss vor dem Fenster, dann kamen die Schatten und zogen sie hinab.
     
    Früh am nächsten Morgen hatte Miriamel hohes Fieber. Simon konnte wenig für sie tun. Er legte ihr nasse Tücher auf die Stirn und gab ihr zu trinken.
    Der Tag verging in einer Folge verschwommener Bilder: graue Wolken, die am Fenster vorüberzogen, der einsame Ruf einer verlassenen Taube, Simons besorgtes Gesicht, das so regelmäßig wie der Mond an ihrem Horizont erschien. Miriamel stellte fest, dass ihr eigenes Schicksal sie kaum kümmerte. Die ganze Furcht, alles Mitleid, die sie bisher angetrieben hatten: herausgelaugt von derKrankheit. Hätte man ihr die Möglichkeit gegeben, ein ganzes Jahr zu schlafen, hätte sie sofort eingewilligt; so aber tauchte sie im Meer des Unbewußten unter und stieg wieder daraus hervor wie ein Schiffbrüchiger, der sich an eine Planke klammert. Ihre Träume waren voll weißer Bäume und ertrunkener Städte, in deren Straßen der Seetang wogte.
    An ihrem zweiten Tag in der Scheune erwachte Miriamel in der Stunde vor Morgengrauen mit klarem Kopf. Sie fühlte sich ungeheuer schwach und hatte plötzlich Angst, allein zu sein, verlassen von ihrem Gefährten.
    »Simon?« Keine Antwort. »Simon?«
    »Hm?«
    »Bist du das?«
    »Was? Miriamel? Natürlich bin ich es.« Sie hörte, wie er sich umdrehte und zu ihr hinüberkroch. »Geht es Euch schlechter?«
    »Besser, glaube ich.« Sie streckte eine zittrige Hand aus, bis sie seinen Arm fühlte, und tastete dann mit den Fingern nach unten, um nach seiner Hand zu greifen. »Aber immer noch nicht besonders gut. Bleib ein Weilchen bei mir.«
    »Natürlich. Ist Euch kalt?«
    »Ein bisschen.«
    Simon hob seinen Mantel und legte ihn über den ihren. Miriamel fühlte sich so schwach, dass diese Geste sie fast zu Tränen rührte. Tatsächlich rann ihr ein kalter Tropfen über die Wange.
    »Danke.« Eine Zeitlang lag sie schweigend da. Schon dieses kurze Gespräch hatte sie erschöpft. Aber die Nacht, die ihr beim Aufwachen so groß und leer vorgekommen war, schien nun nicht mehr ganz so erschreckend.
    »Ich glaube, jetzt kann ich wieder einschlafen.« Selbst in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme belegt.
    »Dann gute Nacht.«
    Miriamel fühlte, wie sie davonglitt. Sie fragte sich, ob Simon wohl je einen so merkwürdigen Traum wie den mit dem weißen Baum und seinen absonderlichen Früchten gehabt hatte. Es kam ihr unwahrscheinlich vor …
    Als sie im unbestimmten Licht einer schiefergrauen Dämmerungerwachte, lag sie noch immer unter Simons Mantel. Er selbst schlief ein kleines Stück entfernt, ein paar magere Büschel feuchtes Heu waren seine einzige Decke.
     
    Während ihres zweiten Tages in der Scheune schlief Miriamel sehr viel, aber wenn sie wach war, ging es ihr merklich besser, und sie fühlte sich schon fast wieder wie sie selbst. Mittags konnte sie bereits einen Bissen Brot und etwas Käse zu sich nehmen. Simon war draußen gewesen und hatte die Umgebung erforscht. Beim Essen erzählte er ihr von seinem Abenteuer.
    »Hier gibt es wirklich kaum Leute! Ich sah ein paar auf der Straße, die von Falshire kommt – keine Angst, sie konnten mich nicht sehen –, aber das waren fast die einzigen. Weiter unten liegt übrigens ein fast völlig verfallenes Haus. Vermutlich hat es dieselben Besitzer wie diese Scheune. Das Dach weist ein paar Löcher auf, aber an den meisten Stellen ist das Stroh noch gut. Ich glaube, es wohnt niemand mehr dort. Wenn wir uns länger hier aufhalten müssen, hätten wir es in dem Haus vermutlich trockener.«
    »Abwarten. Vielleicht kann ich morgen wieder reiten.«
    »Vielleicht, aber erst müsst Ihr ein bisschen herumlaufen können. Das ist das erste Mal, seit wir an dem Abend von Falshire kamen, dass Ihr Euch aufgesetzt habt.« Er drehte sich plötzlich zu ihr um. »Und außerdem wäre ich gerade um ein Haar getötet worden!«
    »Was?« Miriamel musste hastig nach dem Wasserschlauch greifen, um sich nicht an dem trockenen Brot zu verschlucken. »Was soll das heißen?«, fragte sie, als sie sich erholt hatte. »Waren es die Feuertänzer?«
    »Nein«, antwortete Simon mit großen Augen und feierlicher Miene, um gleich darauf zu grinsen. »Aber trotzdem war es ganz schön knapp. Ich war auf dem

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