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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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setzte sich auf die Bettkante, riß den Hörer von der Gabel und tippte wütend die Nummer ein. Der Engländer trat einen Schritt näher, legte seinen Zeigefinger auf die Gabel und unterbrach so die Verbindung.
    »Verdammt, was soll das schon wieder? Wie heißt du also?«
    Der Mörder hob sein Messer und zog die scharfe Klinge mit einem kurzen Ruck über ihre Kehle. Er trat zurück, um nicht von der ersten Blutfontäne getroffen zu werden; dann kniete er vor ihr nieder und beobachtete, wie das Leben aus ihrem Blick schwand. Kurz bevor sie die Augen schloß, beugte er sich nach vorn und flüsterte seinen Namen.
    Der Engländer verbrachte den Rest des Tages am Steuer: auf der Schnellstraße von Vitoria nach San Sebastian, dann über die französische Grenze und über Toulouse nach Marseille. Spät an diesem Abend ging er an Bord einer Nachtfähre nach Korsika.
    Er war wie ein typischer Korse gekleidet: weitgeschnittene Baumwollhose, staubige Ledersandalen, schwerer Pullover gegen die einsetzende Herbstkälte. Sein dunkelbraunes Haar trug er ziemlich kurz. Der Popelineanzug, den er in Vitoria getragen hatte, lag mit dem Panamahut in einem Abfallbehälter einer Raststätte bei Pau. Das silbergraue Toupet war aus dem Fahrerfenster in eine Gebirgsschlucht geflogen. Der Wagen, den er unter dem Namen David Mandelson - eine seiner vielen falschen Identitäten - gemietet hatte, stand wieder bei der Autovermietung in Marseille.
    Er ging in seine Kabine hinunter: eine Einbettkabine mit Dusche und Toilette. Er ließ seinen kleinen Lederkoffer auf dem Bett zurück und stieg wieder aufs Oberdeck hinauf. Die Fähre war halbleer; an der Bar saßen nur wenige Leute, um noch etwas zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen. Nach der langen Fahrt war er müde, aber seine ausgeprägte Selbstdisziplin ließ nicht zu, daß er sich schlafen legte, bevor er sich die Gesichter seiner Mitreisenden angesehen hatte.
    Er machte einen Rundgang übers Deck, sah nichts Beunruhigendes und ging dann in die Bar, wo er sich einen halben Liter Rotwein bestellte und mit einem Korsen namens Matteo eine Unterhaltung begann. Wie der Engländer lebte Matteo im Nordwesten der Insel, aber zwei Täler weiter südlich im Schatten des Monte d'Oro. Im Tal des Engländers war er letztmals vor zwanzig Jahren gewesen. Das war charakteristisch für den Lebensrhythmus auf der Insel.
    Das Gespräch kam auf die von Brandstiftern gelegten Brände, die das Tal des Engländers im Sommer des Vorjahres verwüstet hatten. »Sind die Täter je geschnappt worden?« fragte der Korse, während er sich aus der Weinkaraffe des Engländers bediente. Als der Engländer antwortete, die Behörden verdächtigten die Separatisten der FLNC, der Nationalen Korsischen Befreiungsfront, zündete der Korse sich eine Zigarette an und blies eine lange Rauchfahne in Richtung Decke. »Junge Hitzköpfe!« knurrte er, und der Engländer nickte langsam seine Zustimmung.
    Nach einer halben Stunde wünschte er dem Korsen eine gute Nacht und kehrte in seine Kabine zurück. In seinem Koffer hatte er ein kleines Radio. Er hörte sich die Mitternachtsnachrichten von Radio Marseille an. Nach einigen Minuten Lokalnachrichten folgten wichtige Meldungen aus aller Welt.
    Auf der West Bank hatte es wieder Kämpfe zwischen Israelis und Palästinensern gegeben. In der spanischen Stadt Vitoria waren zwei Mitglieder der Terrororganisation ETA ermordet worden. Und in der Schweiz war der prominente Bankier Augustus Rolfe in seiner Züricher Luxusvilla ermordet aufgefunden worden. Ein Tatverdächtiger befand sich in Haft.
    Der Engländer stellte das Radio ab, schloß die Augen und schlief sofort ein.

3 - ZÜRICH
    Das Präsidium der Stadtpolizei Zürich lag nur wenige hundert Meter vom Hauptbahnhof entfernt in der Zeughausstraße, zwischen dem rauchfarbenen Fluß Sihl und einem weitläufigen Güterbahnhof eingeklemmt. Gabriel war über einen gepflasterten Innenhof in den Anbau aus Glas und Aluminium geführt worden, in dem das Morddezernat untergebracht war.
    Dort saß er jetzt in einem fensterlosen Vernehmungsraum, dessen Einrichtung aus einem hellen Kiefernholztisch und drei nicht zusammenpassenden Stühlen bestand. Sein Gepäck war ebenso beschlagnahmt worden wie seine Farben, Pinsel und Chemikalien. Auch seine Geldbörse, seinen Reisepaß und sein Handy hatte man ihm abgenommen. Sogar seine Armbanduhr hatte er abgeben müssen. Wahrscheinlich hofften sie, ihn dadurch desorientieren und verwirren zu können. Aber er

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