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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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SCHWEIZ
    Die schneidende Kälte, die Gabriel entgegenschlug, als er durch die Tür oben an der Treppe ins Freie trat, war wie ein weiterer Schlag ins Gesicht. Es war später Nachmittag, die Abenddämmerung sank rasch herab, und in den Tannen heulte ein eisiger Wind. Seine Hände begannen vor Kälte gefühllos zu werden. Er hätte die Handschuhe, die der Tote am Gürtel getragen hatte, mitnehmen sollen.
    Er hob den Kopf und stellte fest, daß der Jungfraugipfel klar zu sehen war. Die Gipfelflanken waren blaßrosa überhaucht, aber der Rest des Massivs zeigte blaugraue Farbtöne und wirkte gänzlich abweisend. »Auf dem Jungfraujoch werden manchmal Windgeschwindigkeiten von über dreihundert Stunden-kilometern gemessen.«
    Der Eingang bestand aus Beton und Stahl wie der Eingang zu einem Geheimbunker. Gabriel fragte sich, wie viele solcher Bauten auf Gesslers weitläufigem Besitz verstreut sein mochten und welche weiteren Wunder es wohl zu entdecken gäbe, wenn man Zugang zu ihnen hätte. Dann verdrängte er diese Überlegungen und konzentrierte sich erst einmal darauf, sich zu orientieren. Er stand hier keine fünfzig Meter von der Rückseite der Schwimmhalle entfernt und hatte es nicht weit bis unter die Bäume.
    »…gehen Sie einfach bergab weiter…«
    Unter den Bäumen war es dunkel, und während Gabriel sich vorantastete, erinnerte er sich an die Nacht in Zürich, in der er durch die Villa Rolfe geschlichen war und die Photos im Doppelboden der Schreibtischschublade entdeckt hatte.
    Mein Führer, ich möchte Ihnen Herrn Rolfe aus dem schönen Zürich vorstellen. Herr Rolfe ist Bankier und als solcher bereit,  uns ein paar Gefälligkeiten zu erweisen. Und er ist Kunstsammler wie Sie, mein Führer.
    Einen Vorteil hatte die Kälte immerhin: Schon nach. wenigen Augenblicken war sein Gesicht gefühllos. Unter den Bäumen lag der Schnee etwas weniger hoch, aber jeder Schritt war ein neues Abenteuer - ein unsichtbar verschneiter Felsbrocken, ein abgebrochener Ast unter dem Weiß oder ein Loch, das irgendein unter der Erde lebendes Tier gegraben hatte. Gabriel verlor viermal das Gleichgewicht, schlug der Länge nach hin und kam jedesmal schwerer hoch. Aber er kam hoch, und er stapfte weiter den Hügel hinab auf die Stelle zu, wo Oded und Eli auf ihn warteten.
    Gabriel erreichte eine kleine Lichtung, auf der ein Mann Wache hielt. Der Wachposten stand ungefähr zwanzig Meter von ihm entfernt und kehrte ihm halb den Rücken zu, so daß Gabriel ihn im Halbprofil sah. Er traute sich nicht, aus dieser Entfernung zu schießen nicht mit seiner Gehirnerschütterung und seinen fast zugeschwollenen Augen und seinen kältestarren Händen -, deshalb bewegte er sich in der Hoffnung, die Dunkelheit werde seine abgerissene Erscheinung lange genug tarnen, weiter auf den Mann zu.
    Er schaffte nur noch wenige Schritte, bevor er auf einen Ast trat, der unter seinem Gewicht knackend zersplitterte. Der Posten fuhr herum, starrte Gabriel an und wußte nicht recht, was er tun sollte. Gabriel ging ruhig und gleichmäßig weiter, als sei er die Ablösung des Mannes. Als er nur noch drei Schritte von ihm entfernt war, zog er seine rechte Hand mit der Beretta aus der Jacke und zielte damit auf die Brust des Wachpostens. Das Geschoß trat in einer Wolke aus Blut und Gewebe und Polyestergespinst aus seinem Rü cken aus.
    Als der Schuß durchs Dunkel unter den Bäumen hallte, begann sofort ein Hund zu bellen; dann fiel ein weiterer ein; danach ein dritter. Oben im Chalet flammte Licht auf. Jenseits der Lichtung lag ein schmaler Weg, der eben breit genug für ein kleines Fahrzeug war. Gabriel versuchte zu rennen, aber das gelang ihm nicht. Sein Körper besaß weder die Kraft noch die Koordination, die erforderlich gewesen wären, um einen verschneiten Hang hinunterzurennen. Deshalb ging er nur - und auch das war schon schwierig genug.
    Vor ihm war zu ahnen, daß das Gelände flacher zu werden begann, als ginge Gesslers Berg allmählich in den Talboden über. Und dann sah Gabriel den mit Standlicht abgestellten Kastenwagen und zwei Gestalten, kaum mehr als Schatten: Lavon und Oded, die in der Kälte mit den Füßen stampften.
    »Können Sie aufstehen?«
    »Nein.«
    Los, weiter! Beeil dich!
    Hinter sich hörte er einen Hund kläffen, dann rief eine Männerstimme: »Halt, Sie da! Stehenbleiben, oder ich schieße!«
    Der Lautstärke nach war der Mann mit dem Hund schon ziemlich nahe herangekommen - bestimmt nicht weiter als dreißig Meter entfernt.

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