Der Engländer
hinten zu seinem Mittelplatz in Reihe dreiundzwanzig. Sein Rücken schmerzte noch immer von der schlaflosen Nacht in Manuels abscheulichem Bett.
Gerhardt Petersons Warnung, er solle sich nie wieder in der Schweiz blicken lassen, hallte noch in Gabriels Ohren, deshalb flogen sie nicht direkt nach Zürich, sondern machten einen Umweg über Stuttgart. Dort lief alles ähnlich wie in Lissabon ab: Anna verließ das Flugzeug zuerst, und Gabriel folgte ihr durchs Terminal zum Mietwagenschalt er. Sie nahm Papiere und Schlüssel des vorausbestellten kleinen Mercedes in Empfang und fuhr mit einem Shuttlebus zum Parkplatz. Gabriel ließ sich von einem Taxi in ein nahegelegenes Hotel bringen und wartete dort in der Bar. Als er nach zwanzig Minuten ins Freie trat, parkte Annas Mercedes in der Einfahrt. Sie fuhr bis in die übernächste Seitenstraße, hielt dort und ließ ihn ans Steuer.
Gabriel fuhr auf die Autobahn nach Süden. Zweihundert Kilometer bis Zürich. Anna kippte die Lehne des Beifahrersitzes nach hinten, rollte ihren leichten Mantel als Kissen zusammen und stopfte ihn unter ihren Kopf.
»Ein imponierend schwieriges Stück, das Sie gestern geübt haben«, sagte Gabriel.
»Das war der ›Teufelstriller‹ von Giuseppe Tartini. Der Komponist hat behauptet, die Eingebung dazu sei ihm im Traum gekommen. In diesem Traum hatte er seine Violine dem Teufel überlassen, der darauf eine Sonate spielte, die das schönste Stück war, das Tartini je gehört hatte. Angeblich ist Tartini in einem Zustand fieberhafter Erregung aufgewacht. Er mußte die Sonate besitzen, deshalb hat er alles aufgeschrieben, woran er sich noch erinnern konnte.«
»Glauben Sie diese Geschichte?«
»Ich glaube nicht an den Teufel, aber ich kann verstehen, daß er dieses Stück besitzen wollte. Ich habe drei Jahre geübt, bis ich es richtig spielen konnte. Damit habe ich den Sibelius-Wettbewerb gewonnen. Später ist es mein Erkennungsstück geworden. Technisch ist es höchst anspruchsvoll. Ich habe gerade erst angefangen, es wieder zu spielen.«
»Es hat herrlich geklungen.«
»Nicht in meinen Ohren. Ich höre nur die Fehler und Unzulänglichkeiten.«
»Haben Sie deshalb die beiden Konzerte abgesagt?«
»Ich habe sie nicht abgesagt - ich habe sie verschoben.«
Gabriel spürte ihren Blick auf sich. »Ich merke, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.«
»Wollen Sie demnächst wieder auftreten?«
»Ja, das will ich. In zehn Tagen gebe ich ein Konzert in Venedig. Die Venezianer haben mich stets mit offenen Armen empfangen. Dort fühle ich mich wohl. Kennen Sie Venedig?«
»Ich habe zwei Jahre in Venedig gelebt.«
»Tatsächlich? Weshalb?«
»Dort habe ich gelernt, Gemälde zu restaurieren. Ich habe eine Lehre bei dem italienischen Restaurator Umberto Conti
gemacht. Seither ist Venedig eine meiner Lieblingsstädte.«
»Ah, meine auch. Hat man die Serenissima erst einmal im Blut, ist es schwer, ohne sie zu leben. Ich hoffe, daß ihr Zauber mich auch diesmal beflügeln wird.«
»Warum
haben Sie die beiden vorigen Konzerte verschoben?«
»Weil ich durch meine Handverletzung noch immer stark beeinträchtigt war. Weil ich nicht wie jemand aus einer Kuriositätenschau auftreten wollte. Ich wollte nicht, daß die Leute sagen: ›Das ist Anna Rolfe. Für eine Frau, die beinahe ihre Hand verloren hat, spielt sie recht gut Violine.‹ Ich will als Musikerin auf dem Podium stehen, nicht als Unfallopfer bemitleidet werden.«
»Sind Sie jetzt soweit?«
»Das wird sich in zehn Tagen zeigen. Ich weiß nur eines sicher: Dieses Konzert verschiebe ich auf keinen Fall.« Sie zündete sich eine Zigarette an. »Also, warum haben Sie versucht, Zürich zu verlassen, ohne der Polizei die Ermordung meines Vaters zu melden?«
»Weil ich Angst hatte, man würde mir nicht glauben, daß ich nichts damit zu tun hatte«, sagte Gabriel.
»War das der einzige Grund?«
»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich in offizieller Funktion dort war.«
»In welcher offiziellen Funktion? Wie heißt übrigens diese obskure Organisation, bei der Sie arbeiten? Die dem Verteidigungsministerium untersteht?«
»Ich arbeite nicht dort. Ich führe nur einen Auftrag für sie aus.«
»Hat diese Organisation einen Namen?«
»Eigentlich heißt sie Institut für Koordination, aber ihre Mitarbeiter kennen sie nur als ›den Dienst‹.«
»Sie sind ein Spion, nicht wahr?«
»Ich bin kein Spion.«
»Woher weiß ich nur, daß Sie mich belügen?«
»Ich bin Restaurator von Beruf.«
»Warum
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