Der Engländer
sind wir dann nicht gemeinsam nach Zürich geflogen? Warum haben wir uns auf dem Stuttgarter Flughafen solche Mühe gegeben, nicht miteinander gesehen zu werden?«
»Das war eine Vorsichtsmaßnahme. Die Züricher Polizei hat mir klargemacht, daß ich in der Schweiz nicht mehr willkommen bin.«
»Weshalb würde die Polizei das tun?«
»Weil sie sauer darüber war, daß ich den Tatort fluchtartig verlassen hatte.«
»Warum sind Sie aus dem Haus meines Vaters geflüchtet?«
»Das habe ich Ihnen bereits gesagt.«
»Sie sind aus dem Haus meines Vaters geflüchtet, weil Sie ein Spion sind und deshalb Angst davor hatten, zur Polizei zu gehen. Ich habe Sie auf dem Flughafen beobachtet. Sie arbeiten sehr geschickt.«
»Ich bin kein Spion.«
»Was sind Sie sonst? Und erzählen Sie mir bitte nicht, Sie seien nur ein Restaurator, der jemandem in irgendeiner obskuren Organisation, die der Dienst genannt wird, einen Gefallen getan hat, denn das nehme ich Ihnen nicht ab. Und wenn Sie mir nicht sofort die Wahrheit sagen, können Sie gleich umkehren und nach Stuttgart zurückfahren, weil ich kein Wort mehr sage. Ich habe diesen Scheiß satt!«
Sie schnippte ihre Zigarette aus dem Fenster und wartete auf seine Antwort. Anna Rolfes legendäres Temperament.
Es war nach Mitternacht, als sie Zürich erreicht en. Die Innenstadt wirkte wie ausgestorben: die Bahnhofstraße dunkel und kaum befahren, die Gehsteige menschenleer, einzelne Schneeflocken auf ihrer Windschutzscheibe. Sie überquerten den Fluß, dann fuhr Gabriel auf von Rauhreif glatten Straßen vorsichtig den Zürichberg hinauf. Er wollte unbedingt vermeiden, wegen eines Verkehrsvergehens angehalten zu werden.
Sie parkten auf der Straße vor der Villa. Anna gab die Sicherheitscodes am Tor und an der Haustür ein. Gabriel bekam genug mit, um zu erkennen, daß die Codes seit dem Mord an Rolfe geändert worden waren.
In der Eingangshalle war es dunkel. Anna schloß die Haustür, bevor sie Licht machte. Dann führte sie Gabriel schweigend an dem großen Salon vorbei, in dem er die Leiche ihres Vaters gefunden hatte. Er warf einen Blick hinein. In dem Raum roch es durchdringend nach Reinigungs-und Desinfektionsmitteln.
Der Orientteppich war verschwunden, aber der Raffael hing noch immer an der Wand.
Die im Haus herrschende Stille wurde durch das Klappern von Annas Absätzen auf den Marmor-und Parkettböden noch betont. Sie durchquerten ein großes, unpersönlich wirkendes Speisezimmer mit einer imposanten Tafel aus dunklem poliertem Holz und hochlehnigen Stühlen, dann eine Anrichtekammer, dann eine große Küche.
Schließlich erreichten sie eine Treppe. Diesmal machte Anna kein Licht. Gabriel folgte ihr ins Halbdunkel hinunter. Die Treppe führte in den Weinkeller, in dessen Mauernischen unzählige staubige Flaschen lagerten. Daneben lag der über eine kurze Außentreppe zugängliche Arbeitsraum des Gärtners mit einem großen Steinbecken und rostigen Gartengeräten, die an Wandhaken hingen.
Sie gingen durch eine weitere Tür und folgten einem dunklen Korridor. Er endete vor einer Schiebetür, hinter der ein kleiner Aufzug sichtbar wurde, als Anna sie öffnete. Die Kabine bot kaum Platz genug für eine Person, aber sie quetschten sich zu zweit hinein. Während der Aufzug langsam mit ihnen in die Tiefe sank, spürte Gabriel die Wärme von Annas Körper, der an seinen gepreßt war, und roch ihr Haarshampoo und ihre französischen Zigaretten. Sie schien diese Situation als völlig normal zu empfinden. Gabriel versuchte wegzusehen, aber Anna fixierte ihn mit einem Blick, in dem eine entnervende animalische Direktheit lag.
Der Aufzug hielt. Anna stieß die Tür auf, und sie betraten einen kleinen Vorraum aus weißem und schwarzem Marmor.
Gegenüber dem Aufzug befand sich eine schwere Stahltür. In die Wand neben der Tür war ein Zahlenfeld eingelassen, neben dem Gabriel ein Gerät sah, das an eine Leuchtlupe aus seinem Atelier erinnerte. Solche Geräte kannte er aus der Zentrale in Tel Aviv. Sie dienten dazu, die Iris jeder Person abzutasten, die den gesicherten Raum betreten wollte. Entsprach sie einer der gespeicherten Iriden, durfte der oder die Betreffende eintreten.
Andernfalls schrillten sämtliche Alarmglocken los.
Anna tippte den Sicherheitscode ein und sah kurz in den Scanner. Sekunden später schnappten Stahlriegel zurück, und die schwere Tresortür öffnete sich langsam.
Als sie den Raum dahinter betraten, flammte automatisch Licht auf.
Ein saalartiger
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