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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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an, wenn er ihm seinen Kaffee nicht schnell genug brachte. So wußten schon nach kurzer Zeit das gesamte Personal und die meisten Stammgäste des Hotels Laurens von dem verrückten boche, der in der Mansarde ein Drehbuch schrieb.
    Auf der Fahrt nach Paris hatte er am Flughafen Nizza Station gemacht und den gemieteten Mercedes gegen einen unauffälligeren Renault eingetauscht. Der Autovermieter war ein Mann namens Henri, ein provenzalischer Jude, dessen Familie den französischen Holocaust überlebt hatte. Im Sprachgebrauch des Dienstes war Henri ein sajan, ein freiwilliger Helfer. In aller Welt gab es Tausende von sajanim -  Bankiers, die Agenten des Dienstes im Ausland mit Geld versorgten, Hotelangestellte, die sie kostenlos unterbrachten, Ärzte, die sie diskret behandelten, wenn sie verletzt oder krank waren. In diesem Fall verzichtete Henri auf den vor-geschriebenen Mietvertrag und sorgte dafür, daß Gabriel einen Renault bekam, dessen Herkunft sich nicht nachweisen ließ.
    Kurz nach seiner Ankunft in Paris hatte Gabriel sich widerstrebend mit Uzi Navot, dem Chef der dortigen Station, in Verbindung gesetzt. Navot hatte rötlichblondes Haar und die muskelbepackte Statur eines Ringkämpfers. Er ge hörte zu Schamrons ergebensten Jüngern und war eifersüchtig, weil der Alte an Gabriel einen Narren gefressen hatte. Deswegen haßte er Gabriel, wie ein jüngerer Bruder den Erstgeborenen haßt, und fiel ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den Rücken. Ihr Treff auf einer Parkbank an einem Springbrunnen im Jardin des Tuileries verlief so kalt und förmlich, als handelten zwei feindliche Generale einen Waffenstillstand aus. Navot machte deutlich, seiner Auffassung nach könne der Pariser Posten einen simplen Überwachungsauftrag auch ohne den großen Gabriel Allon durchführen. Außerdem gefiel ihm nicht, daß Schamron ihn darüber im dunkeln gelassen hatte, weshalb der Dienst diesen Pariser Kunsthändler überwachen wollte. Gabriel blieb trotz Navots halb laut vorgetragener Tirade stoisch ruhig, warf den Tauben kleine Stücke von einer Baguette zu und nickte von Zeit zu Zeit mitfühlend. Als Navot zehn Minuten später auf einem der kiesbestreuten Wege davonstürmte, hatte Gabriel alles, was er brauchte: Überwachungspersonal, abhörsichere Funkgeräte, Fahrzeuge, Abhörgeräte, eine Beretta Kaliber 22.
    Sie beobachteten ihn zwei Tage lang. Das war nicht sonderlich schwierig; falls Müller ein Verbrecher war, benahm er sich nicht wie einer. Er kam jeden Morgen um 9 Uhr 45 in die Galerie und war ab 10 Uhr bereit, Kunden zu empfangen. Um 13 Uhr 30 sperrte er die Galerie ab und ging zu einem Restaurant in der Rue de Rivoli, in dem er Stammgast war, und kaufte unterwegs immer am selben Kiosk immer dieselben Zeitungen.
    Am ersten Tag beschattete ihn ein stiernackiger Agent namens Oded. Am zweiten Tag übernahm diese Aufgabe ein hagerer Junge namens Mordechai, der trotz des recht kühlen Wetters zusammengekauert an einem Tisch auf dem Gehsteig verharrte. Nach dem Mittagessen folgte er Müller zu seiner Galerie zurück, bevor er in Gabriels Hotelzimmer kam, um ihm Bericht zu erstatten.
    »Eines interessiert mich noch, Mordechai«, sagte Gabriel.
    »Was hat er heute mittag gegessen?«
    Der Agent verzog mißbilligend sein hageres Gesicht.
    »Seezunge. Ein Riesenexemplar. Es war ein Massaker.«
    »Und was hast du gegessen, Mordechai?«
    »Eier und Pommes frites.«
    »Wie waren sie?«
    »Nicht schlecht.«
    Abends, auch das war vorhersehbar, blieb Müller regelmäßig bis 18 Uhr 30 in der Galerie. Dann stellte er seinen Müll in einem dunkelgrünen Plastikbeutel auf den Gehsteig, damit er nachts abgeholt werden konnte, sperrte zu und machte sich zu Fuß auf den weiten Weg zu Fouquet auf den Champs-Elysees.
    Am ersten Abend sammelte Oded seinen Müll ein und brachte ihn in Gabriels Hotelzimmer, während Mordechai dem Kunsthändler zu Fouquet folgte. Am zweiten Abend tauschten die beiden Agenten ihre Rollen. Während Müller bei Fouquet mit Filmemachern und Literaten Champagner schlürfte, fiel Gabriel die weniger erfreuliche Aufgabe zu, seine Abfälle zu sortieren. Sie waren so gewöhnlich wie Müllers ganzer Tagesablauf: zerknüllte Faxe in einem halben Dutzend Sprachen, unwichtige Briefe, Zigarettenkippen, benützte Papierservietten und Kaffeesatz.
    Nach dem Intermezzo bei Fouquet schlenderte Müller durch die stillen Seitenstraßen des achten Arrondissements, nahm in einem Bistro ein leichtes Abendessen zu sich und

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