Der Engländer
absetzen?«
»Nein, das würde ziemliches Aufsehen erregen. Aber es könnte sich um einen Auftragsdiebstahl gehandelt haben.«
»Das heißt?«
»Jemand hat jemanden dafür bezahlt, daß er die Tat ausführt.«
»War die Ermordung Rolfes im Honorar inbegriffen?«
»Gute Frage.«
Schamron wirkte plötzlich erschöpft. Er setzte sich auf den Rand eines Brunnens. »Ich vertrage das Reisen nicht mehr so gut wie früher«, murmelte er. »Erzählen Sie mir von Anna Rolfe.«
»Hätten wir die Wahl, dürften wir uns nie mit ihr einlassen.
Sie ist unberechenbar, explosiv, und sie raucht mehr als Sie.
Aber sie spielt herrlicher Violine, als ich je in meinem Leben gehört habe.«
»Sie verstehen sich auf solche Leute, Gabriel. Restaurieren Sie sie.« Schamron begann zu husten - ein dumpfes Bellen, das seinen gesamten Körper erschütterte. Im nächsten Augenblick fragte er: »Weiß oder ahnt sie, warum ihr Vater sich an uns gewandt hat?«
»Angeblich nicht. Die beiden haben sich nicht sehr nahegestanden.«
Das schien Schamron sekundenlang körperliche Schmerzen zu bereiten. Seine eigene Tochter war nach Neuseeland ausgewandert. Er rief sie einmal im Monat an, aber sie rief nie zurück. Seine größte Sorge war, sie würde nicht zu seiner Beerdigung heimkommen oder den Kaddisch für ihn sprechen.
Er ließ sich lange Zeit, während er seine nächste Zigarette anzündete.
»Haben Sie irgendwas, mit dem Sie weitermachen können?«
»Eine Spur, ja.«
»Lohnend?«
»Ich denke schon.«
»Was brauchen Sie dafür?«
»Die Mittel für eine Überwachung.«
»Wo?«
»In Paris.«
»Und die Zielperson?«
14 - ROM
Das winzige Richtmikrophon, das der als katholischer Priester gekleidete Mann in der Hand hielt, war nicht größer als ein gewöhnlicher Kugelschreiber. Mit diesem von einer Elektronikfirma in der Schweizer Industriestadt Zug hergestellten Mikrophon konnte er das Gespräch der beiden Männer mithören, die langsam einen Rundgang um die Piazza Navona machten. Ein weiterer Mann, der in einem Café auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes saß, war mit dem gleichen Richtmikrophon ausgerüstet. Der angebliche Priester war zuversichtlich, daß sie gemeinsam den größten Teil des Gesprächs der beiden aufgezeichnet hatten.
Seine Annahme bestätigte sich, als er zwanzig Minuten später im Hotelzimmer die beiden Tonbänder auf einem Rekorder synchronisierte und seinen Kopfhörer aufsetzte. Nach einigen Minuten streckte er plötzlich eine Hand aus und drückte nacheinander die Tasten STOP, ZURÜCK und WIEDERGABE.
»Wo?«
»In Paris.«
»Und die Zielperson?«
»Ein Kunsthändler namens Werner Müller.«
STOP. ZURÜCK. WIEDERGABE.
»Ein Kunsthändler namens Werner Müller.«
STOP.
Er wählte eine Nummer in Zürich und berichtete dem Mann, der sich am anderen Ende meldete, vom Inhalt des aufgezeichneten Gesprächs. Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, gönnte er sich eine Zigarette und die Pikkoloflasche Champagner aus der Minibar: die Belohnung für einen gut durchgeführten Auftrag. Im Bad warf er die zu Konfetti zerrissenen Blätter aus seinem Notizbuch ins WC und spülte sie hinunter.
15 - PARIS
Die Galerie Müller lag in einer Biegung einer schmalen Verbindungsstraße zwischen der Rue du Faubourg St. Honoré und der Avenue de l'Opera. Ihre Nachbarn waren ein Handyladen und eine Boutique für teure Herrenmode, die kein Mann tragen konnte. Hinter dem dicken Sicherheitsglas des Schaufensters waren zwei kleine Gemälde eines unbedeutenden französischen Blumenmalers aus dem achtzehnten Jahrhundert ausgestellt, die Gabriel nicht gefielen. An der Tür klebte ein Zettel in präziser, deutlicher Druckschrift: BESUCHE NUR
NACH ANMELDUNG.
Als Beobachtungsposten wählte Gabriel das kleine Hotel Laurens, das nur fünfzig Meter nördlich der Galerie auf der anderen Straßenseite lag. Er mietete sich dort unter dem Namen Heinrich Kiever ein und bekam ein Mansardenzimmer, in dem es nach schlechten Zigaretten und verschüttetem Cognac roch.
Dem Angestellten am Empfang erzählte er, er sei ein deutscher Drehbuchautor. Er sei hier, um das Drehbuch eines im Zweiten Weltkrieg in Paris spielenden Films zu überarbeiten. Er werde viel auf seinem Zimmer arbeiten und verbitte sich jegliche Störung. Er trank in der Hotelbar und machte tölpelhafte Annäherungsversuche bei der Serviererin. Er jagte die Zimmer-mädchen hinaus, wenn sie in seinem Zimmer saubermachen wollten. Er schnauzte den Jungen vom Zimmerservice
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