Der Engländer
begab sich dann in seine Wohnung. Nach dem zweiten Abend, der nach diesem Schema verlaufen war, wurde Oded rebellisch.
»Vielleicht ist er nur ein Schweizer Kunsthändler, der keine großen Umsätze macht. Vielleicht vergeudest du deine Zeit mit ihm - und unsere.«
Aber Gabriel ließ sich durch Odeds Einwände und die seines kleinen Teams nicht beirren. Kurz nach Mitternacht beobachtete er vom Fenster seines Zimmers im Hotel Laurens aus, wie ein unbeschrifteter Lieferwagen am Randstein vor der Galerie hielt.
Die weiteren Ereignisse spielten sich flüssig wie ein choreographierter Tanz ab. Aus dem Lieferwagen stiegen zwei Männer. Zwanzig Sekunden später hatten sie die Eingangstür geöffnet und die Alarmanlage ausgeschaltet. Die Arbeit in der Galerie dauerte weniger als eine Minute. Dann kamen die Männer wieder heraus und stiegen in ihr Fahrzeug. Seine Scheinwerfer blinkten zweimal, als der Lieferwagen davonfuhr.
Gabriel trat vom Fenster zurück, nahm den Telefonhörer ab und wählte die Nummer der Galerie. Nach dem fünften Klingeln meldete sich ein Anrufbeantworter. Gabriel legte den Hörer neben das Telefon und stellte ein kleines Handfunkgerät lauter.
Einige Sekunden später hörte er die Ansage des Anrufbeantworters: Werner Müllers Stimme mit der Mitteilung, die Galerie sei werktags ab zehn Uhr geöffnet. Bitte rufen Sie an, um einen Termin zu vereinbaren.
Im Sprachgebrauch des Dienstes war die in der Galerie Müller installierte Wanze ein »Glas«. Versteckt im Elektronikteil des Telefons übertrug sie nicht nur Müllers Telefonate, sondern auch alle in ihrer Nähe geführten Gespräche. Da sie ihren Strom aus dem Telefonnetz bezog, brauchte sie keine Batterie und konnte deshalb unbegrenzt lange eingebaut und betriebsfähig bleiben.
Am nächsten Vormittag empfing Müller keine Kunden und bekam keine Anrufe. Er selbst führte zwei Telefongespräche: eines nach Lyon, um sich nach einem Gemälde zu erkundigen, das zu verkaufen war, und eines mit seinem Vermieter, bei dem er sich über einen tropfenden Wasserhahn in seiner Wohnung beschwerte.
Mittags hörte er sich die Nachrichten im Radio an. Danach ging er zur gewohnten Zeit zum Mittagessen in sein Stammlokal und kam gege n fünfzehn Uhr in die Galerie zurück. Um siebzehn Uhr kam ein Anruf: eine Frau, die skandinavisch gefärbtes Englisch sprach, fragte nach Picasso-Zeichnungen.
Müller erklärte ihr höflich, er führe leider weder Zeichnungen noch sonstige Werke von Picasso -, und war so liebenswürdig, ihr die Namen und Adressen zweier Galerien zu nennen, bei der sie vielleicht fündig werden würde.
Kurz vor achtzehn Uhr beschloß Gabriel, ihn selbst anzurufen. Er wählte die Nummer der Galerie und fragt« Herrn Müller in rasend schnellem, akzentfreiem Französisch, ob er irgendein Stilleben von Cézanne habe.
Müller räusperte sich. »Bedaure, Monsieur, ich habe leider keine Gemälde von Cézanne.«
»Merkwürdig. Ich habe aus zuverlässiger Quelle erfahren, daß Sie mehrere Cézannes auf Lager haben.«
»Da hat Ihre zuverlässige Quelle sich getäuscht. Guten Abend, Monsieur.«
Am anderen Ende wurde aufgelegt. Auch Gabriel legte auf und stellte sich neben Oded ans Fenster. Im nächsten Augenblick trat der Kunsthändler in die Abenddämmerung hinaus und sah die kleine Straße nach links und rechts entlang.
»Hast du das gesehen, Oded?«
»Unser Mann ist eindeutig sehr nervös.«
»Glaubst du noch immer, daß er nur ein Kunsthändler ist, der keine großen Umsätze macht?«
»Er benimmt sich verdächtig, aber warum hast du ihn mit deinem Anruf bewußt nervös gemacht?«
Gabriel lächelte, ohne seine Frage zu beantworten. Schamron nannte das »einem Mann ein Steinchen in den Schuh legen«.
Anfangs ist es nur lästig, aber bald erzeugt es eine offene Wunde. Läßt man das Steinche n lange genug darin, hat der Mann zuletzt den Schuh voller Blut.
Fünf Minuten später sperrte Werner Müller seine Galerie für die Nacht zu. Statt seinen Müllsack am gewohnten Platz zurückzulassen, stellte er ihn nebenan vor der Boutique für Herrenmode ab. Bevor er in Richtung Fouquet davonging, sah er sich mehrmals über die Schulter um. Aber er merkte nicht, daß die Bohnenstange Mordechai ihm auf der gegenüberliegenden Straßenseite folgte. Werner Müller hat eine schwärende Wunde, sagte Gabriel sich. Bald würde er den Schuh voll Blut haben.
»Bring mir seinen Müll, Oded.«
Müllers Wochenende verlief ebenso vorhersehbar wie seine
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