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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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zu trinken. Am zweiten Tag fiel ihm dort ein katholischer Priester in schwarzer Soutane auf, dessen Gesicht ihm bekannt vorkam. Gabriel suchte sein Gedächtnis nach diesem Gesicht ab, konnte es aber nicht finden. Als er bei der Rothaarigen seine Rechnung verlangte, stand auf der Rückseite des Kassenbons ihre Telefonnummer. Er lächelte entschuldigend und ließ den Bon auf der Theke liegen, als er ging. Der Geistliche blieb im Café sitzen.

    An diesem Nachmittag verbrachte Gabriel viel Zeit damit, sich zu vergewissern, daß er nicht beschattet wurde. Er besichtigte eine Kirche nach der anderen und studierte Fresken und Altarbilder, bis sein Nacken schmerzte. Dabei hatte er fast das Gefühl, Umberto Conti neben sich zu haben. Conti war wie Ari Schamron der Überzeugung gewesen, Gabriel sei ein Mann von ungewöhnlichen Talenten, und wie Schamron hatte er einen Narren an ihm gefressen. Manchmal war er in Gabriels schäbige Pension gekommen und hatte ihn in die venezianische Nacht hinausgeschleppt, um ihm Kunstwerke zu zeigen. Conti sprach von Bildern wie andere Männer von Frauen. »Sieh dir das Licht an, Gabriel. Sieh dir die Pinselführung an, die Hände, mein Gott, diese Hände!«
    Gabriels Nachbar in Venedig war ein Palästinenser namens Saeb gewesen, ein hagerer Intellektueller, der in Gedichten zu Gewalt aufrief und Hetzschriften verfaßte, in denen er die Israelis mit den Nazis gleichsetzte. Saeb erinnerte ihn peinlich an Wadal Adel Zwaiter, den Chef des Schwarzen September in Italien, den Gabriel im Treppenhaus eines Apartmentgebäudes an der römischen Piazza Annabaliano liquidiert hatte.
    »Ich habe einer Spezialeinheit angehört, Miss Rolfe.«
    »Was für eine Art Spezialeinheit war das?«
    »Eine Einheit zur Terrorismusbekämpfung, die Leute aufgespürt hat, die Gewalttaten gegen Israel verübt hatten.«
    »Palästinenser?«
    »Ja, meistens.«
    »Und was haben Sie mit diesen Terroristen gemacht, wenn Sie sie aufgespürt hatten?«
    Schweigen…
    »Antworten Sie, Mr. Allon. Was haben Sie getan, wenn Sie sie aufgespürt hatten?«
    Abends kreuzte Saeb häufig spätnachts wie Zwaiters Geist bei Gabriel auf, stets mit einer Flasche billigem Rotwein und französischen Zigaretten, hockte mit untergeschlagenen Beinen auf dem Bettvorleger und hielt Gabriel Vorträge über das vielfältige Unrecht, unter dem das palästinensische Volk zu leiden hatte. Die Juden! Der Westen! Die korrupten arabischen Regimes! Sie alle haben Palästinenserblut an ihren Händen!
    Gabriel nickte an den passenden Stellen, schenkte sich von Saebs Wein nach und rauchte seine Zigaretten. Gelegentlich verdammte er Israel selbst. Dieser Staat könne keinen Bestand haben, sagte Gabriel in einer seiner denkwürdigeren Reden.
    Allein unter der Last seiner inhärenten Widersprüche werde er irgendwann wie der Kapitalismus zusammenbrechen. Von dieser Aussage war Saeb so begeistert, daß er sie leicht abgewandelt in seinem nächsten Zeitungsartikel verwendete.
    Während Gabriel in Venedig seine Lehrzeit absolvierte, durfte Leah ihn mit Schamrons Erlaubnis einmal im Monat besuchen.
    Nachdem sie sich mit verzweifelter Inbrunst geliebt hatten, lag sie an ihn gedrängt auf seinem schmalen Bett und flehte ihn an, nach Tel Aviv zurückzukehren. Sie gab sich als eine deutsche Soziologiestudentin namens Eva aus Hamburg aus. Als Saeb mit seinem Wein und seinen Zigaretten in Gabriels Zimmer kam, sprach er voller Begeisterung von der Baader-Meinhof- Bande und der PLO. Saeb behauptete, Leah sei eine Zauberin.
    »Irgendwann müssen Sie nach Palästina kommen und meine Heimat sehen«, sagte er. Ja, stimmte Leah zu. Irgendwann.
    Gabriel aß jeden Abend in einer kleinen Trattoria in der Nähe seines Hotels. Am zweiten Abend empfing der Wirt ihn wie einen Stammgast, der seit zwanzig Jahren mindestens einmal pro Woche kommt. Er setzte ihn an einen reservierten Tisch in der Nähe der Küche und überhäufte ihn mit antipasti, bis Gabriel um Gnade bat. Dann Pasta, dann Fisch, dann verschiedene dolci. Als er den Espresso servierte, legte er Gabriel einen Zettel hin.

    »Wer hat den abgegeben?« fragte Gabriel.
    Die typisch italienische Geste des Wirts drückte Ahnungslosigkeit aus. »Ein Mann.«
    Gabriel betrachtete den Zettel: einfaches weißes Papier, anonyme Schrift, keine Unterschrift.
    Kirche Santa Maria della Pace. In einer Stunde.
    Die Nacht war kühler geworden, ein böiger Wind heulte durch die Baumwipfel der Villa Borghese. Gabriel ging ein ziemliches Stück zu

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