Der Engländer
regennaß glänzende hüftlange Lederjacke. Der Mann gesellte sich unter dem Baum zu ihm und streckte dem Engländer die Rechte hin. Ringfinger und kleiner Finger dieser Hand fehlten.
»Für eine Regennacht hast du den denkbar schlechtesten Treffpunkt ausgesucht, Pascal. Warum kommst du so spät, verdammt noch mal?«
»Ich habe ihn nicht wegen der Aussicht gewählt, mein Freund.« Debré sprach Patois mit südfranzösischer Färbung. Mit seinen beiden verbliebenen Fingern deutete er auf die weintrinkenden Angler am Kai. »Siehst du die drei dort drüben?
Sie arbeiten für mich. Und der Frachtkahn, der gerade vorbeigefahren ist? Auch der Bootsführer arbeitet für mich. Wir wollten sichergehen, daß du nicht beschattet wirst.«
Debré vergrub seine Hände in den Jackentaschen. Der Engländer musterte ihn prüfend. »Wo ist das Paket?«
»In einem Lagerhaus.«
»Vereinbart war, daß du's mitbringst.«
»Die Polizei führt schon den ganzen Abend Verkehrskontrollen durch. Wegen einer Bombendrohung einer arabischen Gruppe. Algerier, glaube ich. Da wär's zu gefährlich gewesen, das Paket mitzubringen.«
Der Engländer hatte nirgends Verkehrskontrollen gesehen.
»Wie soll ich das Paket in die Stadt bringen können, wenn die Polizei auf den Straßen kontrolliert?«
»Das ist dein Problem, mein Freund.«
»Wo steht das Lagerhaus?«
»Ein paar Kilometer flußabwärts in einem Industriegebiet.«
Debré nickte in Richtung Quartier Latin. »Ich habe einen Wagen hier.«
Dem Engländer waren Änderungen eines festgelegten Plans ein Greuel, aber ihm blieb keine andere Wahl. Er folgte Debré die Steintreppe hinauf und über den Pont St. Louis. Über ihnen leuchtete die von Scheinwerfern angestrahlte Kathedrale Notre-Dame. Debré betrachtete das gefärbte Haar des Engländers und zog seine Mundwinkel in einer sehr gallischen Geste der Mißbilligung herunter. »Du siehst lächerlich aus, aber ich muß zugeben, daß das recht wirkungsvoll ist. Ich hätte dich fast nicht wiedererkannt.«
»Das ist der springende Punkt.«
»Und du bist piekfein in Schale. Sehr modisch. Paß lieber auf, wo du in dieser Aufmachung hingehst. Du könntest manche Jungs auf falsche Ideen bringen.«
»Wo steht dein verdammter Wagen?«
»Geduld, mein Freund.«
Der Wagen stand mit laufendem Motor auf dem Quai de Montebello. Am Steuer saß ein bulliger Kerl, der eine Zigarette rauchte. »Du kannst vorn sitzen«, sagte Debré. »Da hast du's bequemer.«
»Ich sitze aber lieber hinten, und wenn du mich noch mal aufforderst, vorn einzusteigen, müßte ich glauben, du wolltest mich in eine Falle locken. Und du würdest garantiert nicht wollen, daß ich mich in eine Falle gelockt fühle, Pascal.«
»Wie du willst. Meinetwegen kannst du auc h hinten sitzen.
Scheiße, ich wollte bloß höflich sein!«
Sie fuhren zwanzig Minuten mit gleichmäßig laufenden Scheibenwischern und laut brummender Heizung durch den Regen. Das Lichtermeer der Innenstadt blieb hinter ihnen zurück, und wenig später erreicht en sie ein düsteres Industriegebiet, das durch gelbe Natriumdampflampen nur unzulänglich beleuchtet wurde. Debré sang die amerikanischen Schlager mit, die das Autoradio dudelte. Der Engländer hatte Kopfschmerzen. Er ließ sein Fenster herunter und spürte die feuchte Luft wohltuend kalt auf seinem Gesicht.
Er wünschte sich, Debré würde die Klappe halten. Der Engländer wußte alles über Pascal Debré. Er war ein Mann, der seine eigenen hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllt hatte. Er hatte ein Berufskiller wie der Engländer werden wollen, aber seinen ersten wichtigen Auftrag - einen Bombenanschlag auf den Boß einer rivalisierenden Bande - verpatzt. Dieser Fehler hatte ihn zwei Finger gekostet und seine Karriere ernstlich behindert. Er wurde innerhalb seiner Organisation zu den Erpressern abgeschoben und durch seine simple, aber effektive Methode bekannt: Gib uns Geld, sonst brennen wir dein Geschäft nieder. Gehst du zur Polizei, vergewaltigen wir deine Tochter und hacken sie anschließend in Stücke. Das war primitiv, aber wirkungsvoll.
Sie fuhren durch ein Tor in einem Maschendrahtzaun und in ein Lagerhaus, einen rußgeschwärzten alten Klinkerbau. Hier roch es nach Dieselqualm und dem Fluß. Debré verschwand in einem kleinen Büro und machte Licht. Wenig später kam er mit einem großen Koffer zurück, den er in seiner gesunden Linken trug.
Er schwang den Koffer auf die Motorhaube und ließ seine Schlösser aufschnappen. »Der
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