Der Engländer
ähnlichen Verteidigungsbund. Im Jahr 1291 war der Feind von außerhalb gekommen: König Rudolf I. aus dem Hause Habsburg hatte versucht, seine Feudalrechte über die Schweiz aufrechtzuerhalten. Auch gegenwärtig kamen die Feinde wieder von außerhalb, aber sie waren verstreut und zahlreicher. Sie waren Juden, die auf der Suche nach Geld und sonstigen Vermögenswerten versuchten, die Banktresore der Schweiz aufzubrechen. Sie waren ausländische Regierungen mit ihrer Forderung, die Schweiz solle Milliarden Dollar als Wiedergutmachung dafür zahlen, daß sie im Zweiten Weltkrieg große Mengen Nazigold übernommen hatte.
Sie waren Historiker und Journalisten, die versuchten, die Schweiz als willigen Verbündeten des Dritten Reichs hinzustellen - als Hitlers Geldbeschaffer und Waffenlieferanten, die den Krieg verlängert hatten, was Millionen Menschen das Leben gekostet hatte. Und dazu kamen Reformer im eigenen Land, die nicht müde wurden, die Abschaffung des geheiligten Schweizer Bankgeheimnisses zu fordern.
Das neue Bündnis orientierte sich an den unbeugsam freiheitsliebenden Bewohnern der Urkantone, die sich damals im Jahr 1291 am Vierwaldstätter See versammelt hatten. Die Bundesgenossen schworen wie ihre Vorfahren, gegen alle zu kämpfen, die Böses gegen sie oder ihren Besitz im Schilde führen mochten. Sie sahen die Ereignisse, die sich außerhalb ihrer Alpenfestung zusammenbrauten, als heraufziehenden Sturm, der die Einrichtungen hinwegfegen konnte, denen die Schweiz - ein winziges Binnenland, das kaum natürliche Ressourcen besaß - den zweithöchsten Lebensstandard der Welt verdankte. Sie bezeichneten ihren Zusammenschluß als Rütlirat, und ihr Anführer war Otto Gessler.
Peterson hatte erwartet, genau wie sonst in Gesslers improvisiertes Fernsehstudio geführt zu werden. Statt dessen begleitete ein Leibwächter ihn auf einem von Lampen erhellten Fußweg zu einem ebenerdigen Flügel des Chalets hinüber. Dort öffnete er eine ungewöhnlich massive Terrassentür und ließ Peterson in schwülheiße Tropenhitze und nur halb durchsichtige Dampfschwaden eintreten, die nach Chlor stanken. Reichverzierte Lampen schimmerten wie Sturmlaternen im Nebel, und türkisgrünes Wasser warf helle kleine Wellen auf die Tragbalken der kühnen Dachkonstruktion. Das einzige Geräusch in der Schwimmhalle war der schwache Wellenschlag, der von Otto Gesslers mühsamer Fortbewegung im Kraulstil herrührte.
Peterson legte Schal und Mantel ab und wartete darauf, daß Gessler seine Bahn zu Ende schwamm. Aller Schnee, der sich auf seinen Lederslippern angesammelt hatte, schmolz rasch und durchnäßte seine Socken.
»Gerhardt?« Eine Pause zum Atemholen, ein weiterer Armzug. »Sind Sie's?«
»Ja, Herr Gessler.«
»Ich hoffe… der Schnee… hat Ihre Fahrt… nicht allzu… anstrengend… gemacht.«
»Durchaus nicht, Herr Gessler.«
Peterson konnte nur hoffen, daß der Alte eine Pause machen würde; sonst mußte er sich darauf einrichten, bis tief in die Nacht hinein hier zu warten. Ein weiterer Leibwächter erschien am Beckenrand und tauchte wieder in den Dampfschwaden unter.
»Sie wollten mich wegen des Falls Rolfe sprechen, nicht wahr, Gerhardt?«
»Ja, Herr Gessler. Ich fürchte, daß wir vor einem Problem stehen.«
»Ich höre.«
In den folgenden zehn Minuten erstattete Peterson ihm Bericht über den neuesten Stand der Dinge. Gessler schwamm, während der Besucher sprach. Plätschern, Stille, Plätschern, Stille…
»Welche Schlußfolgerungen ziehen Sie aus dieser Entwicklung?«
»Daß die beiden mehr über Augustus Rolfes Ende und seine Sammlung wissen, als uns recht sein kann.«
»Ein schrecklich hartnäckiges Volk, nicht wahr, Gerhardt?«
»Die Juden?«
»Sie können sich nie mit etwas zufriedengeben. Wollen immer nur Ärger. Ich werde mich ihnen nicht geschlagen geben, Gerhardt.«
»Nein, natürlich nicht, Herr Gessler.«
Durch die Dampfschwaden hindurch erhaschte Peterson einen Blick auf Gessler, der langsam die Stufen am flachen Ende des Beckens hinaufstieg: eine blasse, erschreckend hinfällige Gestalt. Ein Leibwächter hängte ihm seinen Frotteebademantel um. Dann schlossen die Nebel sich wieder, und Gessler blieb verschwunden.
»Sie muß liquidiert werden«, hörte er die trockene, körperlose Stimme sagen. »Und der Israeli auch.«
Peterson runzelte die Stirn. »Das geht nicht ohne unliebsame Konsequenzen ab. Anna Rolfe ist eine unserer berühmtesten Künstlerinnen. Wird sie so kurz nach ihrem
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