Der Engländer
Tor wieder zu«, sagte der Mann im blauen Overall.
Isherwood tat wie ihm geheißen. Der Mann öffnete die Hecktür des Lieferwagens, aus dem dichte bläuliche Rauchschwaden quollen. Auf der Ladefläche hockte in jammervoll verkrampfter Haltung eine Gestalt: Ari Schamron.
Der Mann in dem Rover war von der Jermyn Street in die King Street abgebogen, die ebenfalls noch gut innerhalb der eineinhalb Kilometer Reichweite der Sender lag, die er in der Galerie installiert hatte, aber nun war es schon einige Zeit her, daß er irgendein Geräusch gehört hatte. Tatsächlich war das letzte, was er belauscht hatte, Isherwoods Bitte gewesen, seine Sekretärin solle ihm etwas zum Lunch holen. Das war ihm eigenartig vorgekommen, denn seit Beginn dieser Abhöraktion war der Kunsthändler jeden Tag zum Mittagessen fortgegangen.
Sogar so merkwürdig, daß er Uhrzeit und Ereignis in seiner Kladde festgehalten hatte. Vierzig Minuten später vernahm er zweimal kurz nacheinander krachend laute Störgeräusche in seinem Radio. Irgend jemand hatte gerade seine Wanzen aufgespürt. Er fluchte leise vor sich hin und ließ den Motor des Wagens an. Als er wegfuhr, griff er nach seinem Handy und wählte eine Nummer in Zürich.
Die Autofähre von Hoek van Holland nach Harwich kam wegen schweren Wetters auf der Nordsee mit mehreren Stunden Verspätung an, deshalb fuhren Gabriel Allon und Anna Rolfe erst am späten Nachmittag auf dem Mason's Yard ein. Als Gabriel zweimal kurz hupte, glitt das Rolltor der Ladebucht scheppernd nach oben. Drinnen stellte er den Motor ab und wartete, bis das Tor sich wieder geschlossen hatte, bevor er ausstieg. Er nahm die große Stahlkassette vom Rücksitz mit und führte Anna durch die übervollen Lagerräume zum Aufzug. Dort wurden sie von Isherwood erwartet.
»Ah, Sie müssen Anna Rolfe sein! Wirklich eine Ehre, Sie kennenzulernen. Ich hatte einmal das große Vergnügen, Sie bei einem Mendelsohn-Abend zu hören. Ein unvergeßliches Erlebnis!«
»Sehr freundlich von Ihnen.«
»Ist er schon da?« fragte Gabriel.
»Oben im Ausstellungsraum.«
»Also los!«
»Was ist in der Box?«
»Das bekommst du gleich zu sehen, Julian.«
Schamron stand unter der Glaskuppel, rauchte eine seiner übelriechenden türkischen Zigaretten und ignorierte die sehenswerten Alten Meister, von denen er auf allen Seiten umgeben war. Gabriel merkte dem Alten an, daß er Erinnerungen nachhing. Vor einem Jahr hatten sie in genau diesem Raum das letzte Stadium eines Unternehmens eingeleitet, das mit dem Tod Tariq al-Houranis geendet hatte.
Als Anna Rolfe hereinkam, hellte Schamrons Miene sich auf, und er schüttelte ihr herzlich die Hand.
Gabriel stellte die Stahlbox aufs Parkett und klappte ihren Deckel auf. Dann nahm er das erste Gemälde heraus, befreite es vorsichtig von seiner Schutzhülle und entrollte es auf dem Fußboden.
»Großer Gott«, flüsterte Isherwood. »Eine Landschaft von Monet.«
Anna lächelte. »Warten Sie's ab, es wird noch besser.«
Gabriel entrollte das nächste Bild, ein Selbstporträt van Goghs, und legte es neben den Monet.
»Ach, du lieber Himmel«, murmelte Isherwood.
Dann kam der Degas, dann kam der Bonnard, dann kamen der Cézanne und der Renoir - und so ging es weiter, bis sechzehn nebeneinander ausgelegte Gemälde den Fußboden der Galerie bedeckten. Isherwood ließ sich auf den Diwan fallen, drückte beide Handflächen an die Schläfen und hatte Mühe, nicht in Tränen auszubrechen.
»Mit diesem Auftritt haben Sie schon mal Furore gemacht«, stellte Schamron fest. »Sie haben das Wort, Gabriel.«
Anna hatte alles schon auf der Fahrt von Zürich zur deutschen Grenze gehört, deshalb unterhielt sie sich flüsternd mit Isherwood, während er nochmals die Gemälde bewunderte.
Gabriel berichtete Schamron in allen Einzelheiten, was er über Augustus Rolfe und seine Sammlung in Erfahrung gebracht hatte, und schloß mit dem Brief, den Rolfe in Zürich in einer Depotkassette für ihn hinterlegt hatte. Danach erläuterte er dem Alten seinen Plan zur Wiederbeibringung des größeren Teils der Sammlung Rolfe: der zwanzig Werke, die aus dem Ausstellungsraum unter der Villa gestohlen worden waren. Als Gabriel ausgesprochen hatte, drückte Schamron seine Zigarette aus und schüttelte langsam den Kopf.
»Eine interessante Idee, Gabriel, aber sie hat einen fatalen Haken. Der Premierminister würde das Unternehmen nie genehmigen. Falls Sie es noch nicht gemerkt haben sollten - wir befinden uns praktisch im
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