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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Haustür klopfte, stieß sie die Fensterläden im Obergeschoß auf und spähte wie ein gotischer Wasserspeier zu ihm hinab.
    »Ich hab mir gleich gedacht, daß du's bist. Der Schirokko weht. Er bringt Staub und böse Geister.«
    »Welcher von den beiden bin ich?«
    »Ich kann den occhju von hier aus sehen. Warte auf mich, mein Kind. Ich komme gleich hinunter.«
    Der Engländer rauchte eine Zigarette, während er darauf wartete, daß die Alte sich anzog und herunterkam. Sie machte ihm die Tür in einem schlichten schwarzen Witwengewand auf und zog ihn am Handgelenk ins Haus, als fürchte sie, draußen lauerten wilde Tiere. Dann saßen sie sich an dem rohen Holztisch gegenüber. Er rauchte seine Zigarette zu Ende, während die Alte das Öl und den Teller mit Wasser bereitstellte.
    »Drei Tropfen, obwohl ich mir sicher bin, daß ich die Antwort bereits kenne.«
    Er tauchte einen Finger in das Öl und ließ drei Tropfen ins Wasser fallen. Als das Öl zerstob, begann die Alte ihr gewohntes Ritual aus Segenssprüchen und Gebeten. Als er die Probe dann wiederholte, klumpte sich das Öl zu einem einzigen Tropfen zusammen, der auf der Wasseroberfläche schwamm.
    Die Alte lächelte zufrieden.
    »Das ist ein hübscher Trick, den du da hast«, sagte der Engländer.
    »Das ist kein Trick. Das solltest du von allen Leuten am besten wissen.«
    »Ich wollte nicht respektlos sein.«
    »Das weiß ich. Obwohl du kein geborener Korse bist, hast du die Seele eines Korsen. Du bist ein wahrhaft Glaubender.
    Möchtest du etwas trinken, bevor du gehst? Vielleicht einen Schluck Wein?«
    »Es ist sechs Uhr morgens.«
    Die Alte zuckte mit den Schultern, als wollte sie sagen: Und wenn schon.
    »Du solltest daheim im Bett sein«, sagte sie. Dann fügte sie hinzu: »Mit einer Frau. Aber nicht mit einer der Nutten, die Don Orsati für dich kommen läßt. Mit einer richtigen Frau, die dir Kinder schenkt und deinen Haushalt versorgt.«
    »Don Orsatis Frauen sind die einzigen, die etwas mit mir zu tun haben wollen.«
    »Du glaubst, eine anständige Frau würde dich nicht haben wollen, weil du ein taddunaghiu bist?«

    Der Engländer verschränkte die Arme.
    »Ich will dir eine Geschichte erzählen.«
    Er öffnete den Mund, um Einwände zu erheben, aber die Alte war auf den Beinen, bevor er ein Wort sagen konnte, und schlurfte in die Küche, um Wein zu holen. Die Flasche war dunkelgrün und hatte kein Etikett. Die Hand der Alten zitterte heftig, als sie zwei Gläser vollschenkte.
    »Mein Mann war ein sehr geschickter Handwerker«, sagte die signadora. »Er war Maurer, aber nebenbei auch Schuster.
    Manchmal hat er für Don Tomasi drüben im nächsten Tal gearbeitet. Du hast von der Familie Tomasi gehört?«
    Der Engländer nickte und trank einen kleinen Schluck von seinem Wein. Die Tomasis waren weithin als streitsüchtige Unruhestifter bekannt.
    »Don Tomasi hat sich von meinem Mann eine neue Mauer um seinen Garten bauen lassen. Sie war tadellos ausgeführt, das kannst du mir glauben, aber Don Tomasi hat behauptet, sie sei schief und krumm, und sich geweigert, die Arbeit meines Mannes zu bezahlen. Darüber ist es zu einem heftigen Streit gekommen, der damit geendet hat, daß Tomasi zweien seiner Revolvermänner befohlen hat, meinen Mann mit Gewalt von seinem Besitz zu entfernen. Sie steht übrigens immer noch.«
    »Die Mauer um den Garten?«
    »Allerdings!« Die Alte trank einen Schluck Wein und sammelte sich, um ihre Geschichte zu Ende zu erzählen. »Mein Mann war nicht nur ein guter Arbeiter, sondern auch ein herzensguter, sanftmütiger Mensch - ein agnello. Du kennst diesen Ausdruck?«
    »Ein Lamm.«
    Die signadora nickte. »Er war kein Mann, der mit den Fäusten oder mit einem Messer kämpft. Die Geschichte, wie Don Tomasi ihn behandelt hatte, hat hier wie ein Lauffeuer die Runde gemacht. Mein Mann wurde zum Gespött aller. Am zweiten Abend nach diesem Vorfall hat er sich auf dem Dorfplatz zu einer tätlichen Auseinandersetzung provozieren lassen. Dabei hat er ein Messer in den Bauch bekommen und ist an dieser Wunde gestorben.«
    In den Augen der Alten blitzte etwas auf. Zorn. Haß.
    »Hier mußte Blutrache geübt werden, das war klar«, sagte sie ruhig. »Aber an wem? An dem Dummkopf, der meinem Mann die Verletzung beigebracht hatte? Er war nicht wirklich für seinen Tod verantwortlich. Nein, Don Tomasi hatte sein Blut an seinen Händen. Aber wie sollte ich ihn töten? Er lebte in seinem großen Haus auf einem Hügel, war von scharfen Hunden

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