Der Engländer
und bewaffneten Männern umgeben. Ich konnte unmöglich an ihn herankommen! Deshalb bin ich zu Antonio Orsatis Vater gegangen und habe einen taddunaghiu engagiert, damit er für mich Blutrache übt. Das hat mich alles gekostet, was ich an Geld besaß, aber es hat sich gelohnt. Der taddunaghiu ist durch Don Tomasis Verteidigungsgürtel geschlüpft und hat ihm im Schlaf die Kehle durchgeschnitten - hat ihn wie das Schwein abgeschlachtet, das er war. So war der Gerechtigkeit Genüge getan.«
Der Engländer ergriff ihre Hand und legte sie auf seinen Handrücken.
»Manchmal, Christopher, kann ein taddunaghiu Gutes tun.
Manchmal kann er auch schreckliches Unrecht tun. Manchmal kann er nicht nur ein Werkzeug der Gerechtigkeit, sondern auch der Rache sein. Beherzige, was ich dir gesagt habe.«
»Das tue ich«, sagte er.
Er drückte ihr eine dicke Rolle Geldscheine in die Hand. »Das ist zuviel«, sagte die Alte, ohne das Geld anzusehen. »Du gibst mir immer zuviel.«
»Du schenkst mir Frieden. Frieden ist unbezahlbar.«
Er stand auf und wollte gehen, aber sie hielt ihn mit unerwartet kräftigem Griff am Handgelenk fest. »Leiste mir Gesellschaft, während ich meinen Wein trinke. Mein Mann fehlt mir noch immer, weißt du. Selbst nach all diesen Jahren.«
Und so blieb er am Tisch sitzen und beobachtete, wie der Kerzensche in über ihr runzliges Gesicht flackerte, während sie die Weinflasche allein leerte. Dann fielen ihr die Augen zu, und ihr Kinn sank auf die Brust herab.
Der Engländer trug sie nach oben und legte sie sanft auf ihr Bett. Sie wachte noch einmal kurz auf. Ihre Hand griff nach oben und betastete den Talisman, den er an einer Kette um den Hals trug: die rote Korallenhand. Dann berührte sie sein Gesicht und versank wieder in unruhigen Schlaf.
Er verließ das Haus, stieg in seinen Jeep, fuhr nach Calvi und ging an Bord der nächsten Fähre nach Marseille. Dort holte er sich den Wagen, den Antonio Orsati in einer Straße am Hafen für ihn hatte bereitstellen lassen, und verließ die Stadt, um nach Venedig zu fahren.
36 - VENEDIG
Die italienische Presse hatte ein neues The ma. Sie erging sich in endlosen Spekulationen über das noch nicht bekannte Programm von Anna Rolfes Konzert . Würde sie versuchen, ihr Erkennungsstück, Giuseppe Tartinis dämonische Sonate »Der Teufelstriller«, zu spielen? Bestimmt, vermuteten viele Musikkritiker, würde Signorina Rolfe sich dieses schwierige Stück nach so langer Abwesenheit vom Konzertpodium nicht gleich wieder zumuten.
Es gab wiederholte Appelle, das Konzert in einen größeren Raum zu verlegen. Es sollte im oberen Saal der Scuola Grande di San Rocco stattfinden, der nur sechshundert Plätze hatte, und die Konkurrenz um Eintrittskarten war unter den Reichen Venedigs zu einer Art Rangelei ausgeartet. Der Konzertveranstalter Zaccario Cordoni weigerte sich, das Konzert zu verlegen, aber um es sich mit den Venezianern nicht zu verderben, schob er die Schuld geschickt Anna Rolfe in die Schuhe. Signorina Rolfe habe einen kleinen Saal verlangt, behauptete er, und er sei den Wünschen der Künstlerin machtlos ausgeliefert. Ein sozialistisch angehauchtes Stadtmagazin brachte einen hysterischen Leitartikel, in dem argumentiert wurde, die Musik sei wieder einmal von den besitzenden Klassen okkupiert worden. Das Magazin rief zu einer Demonstration am Abend des Konzerts vor der Scuola Grande di San Rocco auf. Fiona Richardson, Anna Rolfes Agentin und Managerin, gab in London in einer Pressemitteilung bekannt, Miss Rolfe werde ihr beträchtliches Honorar zur Erhaltung der scuola und ihrer Kunstschätze spenden. Ganz Venedig seufzte angesichts dieser Geste erleichtert auf, und die Kontroverse verlief sich so sanft wie eine Nippflut.
Spekuliert wurde auch darüber, wo Anna Rolfe in Venedig absteigen würde. Das Blatt Il Gazzettino berichtete, die Hotels Monaco, Canal Grande und Palazzo Gritti lieferten sich einen Titane nkampf, um die Künstlerin zu sich zu locken, während die Zeitung La Nuova Venezia mutmaßte, Signorina Rolfe werde allem Hoteltrubel dadurch entgehen, daß sie eine Einladung in einen privaten Palazzo annehme. Wie sich herausstellen sollte, hatten beide Zeitungen sich geirrt, denn an einem regnerischen Freitag, einen Tag vor dem Konzert, legten Anna und Gabriel gegen Mittag mit einem Wassertaxi am Privatsteg des Luna-Hotels Baglioni an, einem ruhigen Haus in der Calle San Marco, nicht weit vom Touristengewimmel auf dem Markusplatz entfernt.
Anna Rolfe
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