Der entzauberte Regenbogen
man es an einem Bambusgerüst. Der Affe, so Frazer,
[ist] der Sündenbock, mit dessen Hilfe die angesammelten Übel des ganzen Jahres öffentlich vertrieben werden.
In vielen Kulturen muss auch ein Mensch als Sündenbock herhalten, und oft wird er mit einem Gott gleichgesetzt. Ein weiteres verbreitetes Motiv ist das Wasser, mit dem die Sünden abgewaschen werden sollen, manchmal in Verbindung mit der Vorstellung von einem Sündenbock. Von einem Stamm in Neuseeland heißt es:
Ein Gottesdienst wurde über einem Menschen abgehalten, wodurch alle Sünden des Stammes auf ihn übertragen werden sollten. Vorher wurde ein Farrenstengel an ihm festgebunden, mit dem er in den Fluß sprang, ihn abband und ins Meer forttreiben ließ, damit er die Sünden mit fortnehme.
Frazer berichtet auch, der Raja von Manipur habe seine Sünden mit Hilfe von Wasser auf einen menschlichen Sündenbock übertragen; dieser musste dazu unter ein Gerüst kriechen, auf dem der Adlige sich wusch, sodass das Wasser (und mit ihm die abgespülten Sünden) auf ihn herabtropfte.
Herablassung gegenüber «primitiven» Kulturen ist nicht angebracht, und deshalb habe ich die Beispiele sorgfältig ausgewählt: Sie sollen uns daran erinnern, dass auch unsere vertraute Theologie nicht gegen homöopathische oder imitative Magie gefeit ist. Das Wasser der Taufe «wäscht» die Sünden ab. Jesus selbst steht mit seiner Kreuzigung stellvertretend für die ganze Menschheit (in manchen Versionen auf dem Umweg über einen symbolischen Ersatz für Adam), und damit büßt er homöopathisch für unsere Sünden. Ganze Schulen der Marienverehrung erkennen im «weiblichen Prinzip» eine symbolische Tugend.
Selbst gebildete Theologen, die nicht wortwörtlich an die unbefleckte Empfängnis, die Schöpfung in sechs Tagen, die Wunder, die Fleischwerdung oder die österliche Auferstehung glauben, träumen gern davon, was diese Ereignisse symbolisch bedeuten könnten. Es ist, als würde man eines Tages beweisen, dass das Doppelhelixmodell der DNA falsch ist, und die Naturwissenschaftler könnten dann nicht hinnehmen, dass sie Unrecht hatten, und suchten stattdessen verzweifelt nach einer tieferen symbolischen Bedeutung, die über die rein faktische Widerlegung hinausgeht. Ich höre schon, wie sie sagen: «Natürlich glauben wir nicht mehr daran, dass die Doppelhelix eine Tatsache ist. Das wäre wirklich viel zu einfach. Die Geschichte passte in ihre eigene Zeit, aber heute sind wir weiter. Heute hat die Doppelhelix für uns eine andere Bedeutung. Dass Guanin zu Cytosin und Adenin zu Thymin passt wie ein Handschuh zur Hand, und insbesondere die enge Windung der linken Spirale um die rechte, das alles erzählt von einer liebevollen, zärtlichen, erfüllenden Beziehung …» Nun ja, es würde mich wundern, wenn es so weit käme, und das nicht nur, weil eine Widerlegung des Doppelhelixmodells heute sehr unwahrscheinlich ist. Aber in der Naturwissenschaft besteht wie auf allen anderen Gebieten die Gefahr, dass man sich am Symbolismus berauscht, an bedeutungslosen Ähnlichkeiten, die einen nicht näher zur Wahrheit, sondern immer weiter von ihr weg führen. Steven Pinker ist nach eigenen Angaben beunruhigt über Briefeschreiber, die entdeckt haben, dass alles im Universum in Dreiergruppen daherkommt:
Vater, Sohn und Heiliger Geist; Maskulinum, Femininum und Neutrum; Tick, Trick und Track; und so weiter, Seite für Seite.
Wie das Denken im Kopf entsteht (1998)
Mit nur wenig mehr Ernsthaftigkeit erfand Sir Peter Medawar, der angesehene britische Zoologe und Universalgelehrte, den ich schon einmal zitiert habe, ein
großes universelles Komplementaritätsprinzip (aber nicht das von Bohr); danach gibt es eine wesentliche innere Ähnlichkeit in den Beziehungen zwischen Antigen und Antikörper, männlich und weiblich, elektropositiv und elektronegativ, These und Antithese und so weiter. Diese Paare besitzen tatsächlich eine «passende Gegensätzlichkeit», aber das ist auch alles, was sie gemeinsam haben. Ihre Ähnlichkeit ist kein Schlüssel zu einer anderen, tieferen Zusammengehörigkeit, und unsere Erkenntnis, dass sie existiert, ist nicht der Anfang, sondern das Ende eines Gedankenganges.
Pluto’s Republic (1982)
Wenn ich schon Medawar im Zusammenhang mit berauschendem Symbolismus zitiere, kann ich der Versuchung nicht widerstehen, auch seine vernichtende Besprechung des Buches Der Mensch im Kosmos von Teilhard de Chardin zu erwähnen. Dieses
Weitere Kostenlose Bücher