Der entzauberte Regenbogen
(bei der Wissenschaftler sich poetischer Bilder bedienen, um sich ihre eigenen Gedankengänge zu erleichtern). Beide sind wichtig, aber mein Schwergewicht liegt hier auf der zweiten Art des Gebrauchs. Michael Faradays Erfindung der magnetischen «Feldlinien», die man sich so vorstellen kann, als bestünden sie aus einem elastischen, unter Spannung stehenden Material, das seine Energie (in dem Sinn, den Physiker genau definiert haben) abgeben will, war für sein eigenes Verständnis des Elektromagnetismus unentbehrlich. Ich selbst habe mich bereits des poetischen Bildes der Physiker bedient, in dem unbelebte Gebilde – beispielsweise Elektronen oder Lichtwellen – nach einer möglichst kurzen Wanderungszeit streben. Das ist ein einfacher Weg, um zu der richtigen Antwort zu gelangen, und man kommt damit erstaunlich weit. Von dem großen französischen Molekularbiologen Jacques Monod hörte ich einmal, er habe eine chemische Erkenntnis gewonnen, indem er sich ausmalte, wie ein Elektron sich an einer bestimmten Bindungsstelle im Molekül fühlt. Der deutsche Chemiker Kekulé berichtete, er habe vom Benzolring in Form einer Schlange geträumt, die sich in den eigenen Schwanz biss. Einstein war stets phantasievoll: Sein außergewöhnlicher Geist ließ sich von poetischen Gedankenexperimenten durch ein Meer von Ideen treiben, die noch fremdartiger waren als die Newtons.
Aber dieses Kapitel handelt von schlechter poetischer Naturwissenschaft; das folgende Beispiel, das ich einem Leserbriefschreiber verdanke, stößt uns mit der Nase darauf:
Ich nehme an, dass unser kosmisches Umfeld einen gewaltigen Einfluss auf den Verlauf der Evolution hat. Wie sonst könnten wir die Helixstruktur der DNA erklären, die entweder auf den spiraligen Weg der einfallenden Sonnenstrahlen oder auf die Umlaufbahn der Erde um die Sonne zurückzuführen ist? Diese hat aufgrund ihrer magnetischen Achse, die um 23,5 Grad gegenüber dem rechten Winkel gekippt ist, eine Spiralform, daher die Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen.
Realistisch betrachtet, besteht nicht der geringste Zusammenhang zwischen der Helixstruktur der DNA und dem spiraligen Strahlenweg oder der Planetenumlaufbahn. Keines der drei Phänomene hilft, eines der beiden anderen zu verstehen. Der Verfasser hat sich an einer Metapher berauscht; gefesselt vom Bild der Spirale, glaubt er irrtümlich Zusammenhänge zu sehen, die nicht im Geringsten zur Erhellung der Wahrheit beitragen. So etwas als poetische Wissenschaft zu bezeichnen, ist noch zu freundlich; es ähnelt mehr der Theologie.
In den Leserbriefen, die ich erhalte, war in letzter Zeit eine starke Zunahme von Begriffen wie «Chaostheorie», «Komplexitätstheorie», «nichtlineare Kritikalität» und ähnlichen Schlagworten zu beobachten. Nein, ich behaupte nicht, ihre Verfasser hätten nicht die leiseste, verschwommenste Ahnung, wovon sie eigentlich reden. Aber ob sie eine solche Ahnung haben, lässt sich nur schwer feststellen. New-Age-Kulte aller Schattierungen aalen sich in einer pseudowissenschaftlichen Sprache, einem schlecht verdauten, nur halb (nein weniger als halb) verstandenen Jargon: Energiefelder, Schwingungen, Chaostheorie, Katastrophentheorie, Quantenbewusstsein. Ein typisches Beispiel zitiert Michael Shermer in seinem 1997 erschienenen Buch Why People Believe Weird Things :
Dieser Planet schlummert seit vielen Zeitaltern, und mit neuen, höheren Energiefrequenzen beginnt er nun zu Bewusstsein und Spiritualität zu erwachen. Die Meister der Beschränkung und die Meister der Weissagung bedienen sich derselben kreativen Kraft, um ihrer Realität Ausdruck zu verleihen, aber die einen bewegen sich in einer abwärts gerichteten, die anderen in einer aufwärts gerichteten Spirale, und beide verstärken die widerhallenden Schwingungen, die ihnen innewohnen.
Quanten- und Chaostheorie haben auf unglückliche Weise Eingang in den Alltag gefunden, sehr zum Leidwesen der echten Experten. Beide werden regelmäßig von jenen ausgenutzt, die Wissenschaft gern missbrauchen und ihren Wundern Gewalt antun. Das Spektrum reicht dabei von berufsmäßigen Scharlatanen bis zu versponnenen New-Age-Jüngern. In Amerika scheffelt die Alternativ-Heilen-und-Selbsthilfe-Industrie Millionen – und sie hat nicht gezögert, auch das beträchtliche Verblüffungspotential der Quantentheorie in klingende Münze umzusetzen. Belegt wurde das durch den Physiker Victor Stenger in dem ausgezeichneten Buch Physics and Psychics
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