Der entzauberte Regenbogen
(eine Formulierung von Keats) verpackt sind, lauert hinter vielen Sitten von Religion und Magie. Sir James Frazer beschreibt in seinem 1922 erstmals erschienenen Buch Der goldene Zweig eine wichtige Kategorie der Magie, die er als homöopathische oder imitative Magie bezeichnet. Das Spektrum der Imitation reicht dabei vom Buchstäblichen bis zum Symbolischen. Die Dyak auf Sarawak aßen die Hände und Knie ihrer erschlagenen Feinde, um die eigenen Hände zu stärken und ihre Knie zu kräftigen. Die schlechte poetische Idee ist hier die Vorstellung, Hände oder Knie hätten ein inneres Wesen, das sich von einem Menschen zum anderen übertragen lässt. Die mexikanischen Azteken, so Frazer, glaubten vor der spanischen Eroberung,
daß ihre Priester durch das Weihen von Brot dieses zu dem wahren Leib ihres Gottes machen konnten, so daß alle, die davon aßen, eine mystische Kommunion mit der Gottheit eingingen, indem sie ein Stück ihrer göttlichen Substanz in sich aufnahmen. Das Dogma von der Transsubstantiation oder magischen Verwandlung von Brot in Fleisch war auch den Aryanern des alten Indien lange vor der Ausbreitung, ja auch vor dem Aufkommen des Christentums bekannt.
Später verallgemeinert Frazer das Thema:
Es ist nunmehr leicht zu verstehen, weshalb ein Wilder den Wunsch hat, von dem Fleisch der Tiere oder Menschen zu essen, die er für göttlich hält. Indem er von dem Leib des Gottes ißt, nimmt er teil an dessen Eigenschaften und Fähigkeiten. Und wenn der Gott ein Korngott ist, dann ist das Korn sein wahrer Leib. Ist er ein Weingott, dann ist der Saft der Traube sein Blut. Und so genießt der Gläubige, indem er das Brot ißt und den Wein trinkt, den wahren Leib und das Blut seines Gottes. Demnach ist das Weintrinken bei dem Kult eines Weingottes wie Dionysos nicht etwa ein Akt der Schwelgerei, es ist ein feierliches Sakrament.
Überall auf der Welt liegt Zeremonien die Vorstellung zugrunde, Dinge könnten etwas anderes darstellen , dem sie nur entfernt oder nur in einer Hinsicht ähneln. Nashornpulver gilt – mit tragischen Folgen – als Potenzmittel, und das offensichtlich nur deshalb, weil das Horn oberflächlich einem erigierten Penis ähnelt. Oder – eine andere häufige Praxis – berufsmäßige Regenmacher ahmen Donner oder Blitze nach, oder sie zaubern mit einer kleinen, «homöopathischen» Regendosis, indem sie Wasser mit einem Reisigbündel verspritzen. Solche Rituale können sehr komplex werden und erfordern dann eine Menge Zeit und Aufwand.
Bei den Dieri in Zentralaustralien ließen Regenzauberer, die symbolisch die Götter der Vorfahren darstellten , ihr Blut (das den ersehnten Regen darstellte ) in ein großes Loch tropfen, das man in einer eigens zu diesem Zweck erbauten Hütte ausgehoben hatte. Dann trugen die beiden Zauberer zwei Steine, die für die Wolken und den prophezeiten Regen standen , 15 bis 20 Kilometer weit weg und legten sie in die Krone eines großen Baumes, um die Höhe der Wolken zu symbolisieren . Zu Hause in der Hütte bückten sich mittlerweile die Männer aus dem Dorf und schlugen mit dem Kopf gegen die Wand, ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen, bis sie ein Loch hineingestoßen hatten. Anschließend stießen sie weiter vorwärts und rückwärts, bis die Hütte zerstört war. Indem sie die Wände mit dem Kopf durchlöcherten, symbolisierten sie das Durchlöchern der Wolken, und das, so glaubten sie, werde aus den wirklichen Wolken den Regen freigeben. Als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme hielt der Stammesrat der Dieri immer einen Vorrat an Vorhäuten von Knaben bereit, weil diese die homöopathische Fähigkeit besitzen sollten, Regen zu erzeugen («regnet» es nicht auch Urin aus dem Penis, was doch sicher ein beredter Nachweis diese Fähigkeit ist?).
Ein anderes homöopathisches und immer wiederkehrendes Motiv ist der «Sündenbock» (der so heißt, weil bei einer jüdischen Version des Rituals ein Ziegenbock benutzt wird): Man sucht ein Opfer aus, das alle Sünden und Missgeschicke des Dorfes verkörpern und darstellen soll oder damit beladen wird. Dann wird der Sündenbock aus dem Dorf getrieben oder in manchen Fällen auch getötet, und dabei nimmt er die Übel der Menschen mit. Die Garos in Assam am Fuß des östlichen Himalaya fingen einen Langur (das heißt einen Kleinaffen) oder in manchen Fällen auch eine Bambusratte; das Tier wurde dann durch alle Häuser des Dorfes geführt, um die bösen Geister in sich aufzunehmen, und dann kreuzigte
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