Der entzauberte Regenbogen
Genen, und Makromutationen sind Mutationen mit großen Auswirkungen. Eine Mutation mit geringem Effekt, auch Mikromutation genannt, ist ein kleiner Fehler beim Kopieren eines Gens, und ihre Wirkung auf den Träger dieses Gens ist unter Umständen so gering, dass man sie nicht ohne weiteres bemerkt – vielleicht wird ein Beinknochen geringfügig länger, oder eine Feder erhält einen roten Farbton. Eine Makromutation ist ein folgenschwerer Fehler, eine so große Veränderung, dass man ihren Träger im Extremfall einer anderen biologischen Art zuordnen würde als seine Eltern. In meinem letzten Buch Gipfel des Unwahrscheinlichen habe ich ein Zeitungsfoto von einer Kröte wiedergegeben, deren Augen sich im Maul am Gaumen befinden. Wenn die Aufnahme echt ist (eine große Einschränkung in einer Zeit mit Photoshop und anderen handlichen Programmen zur Manipulation von Bildern) und wenn es sich um eine genetische Abweichung handelt, ist diese Kröte eine Makromutante. Würde ein solches Individuum eine neue Krötenart mit Augen am Gaumen hervorbringen, könnte man die plötzliche Neuentstehung einer biologischen Art als Evolutionssprung bezeichnen. Manche Biologen, beispielsweise der deutsch-amerikanische Genetiker Richard Goldschmidt, hielten solche großen Schritte für einen wichtigen Bestandteil der natürlichen Evolution. Ich gehöre zu den vielen, die Zweifel an der ganzen Idee hegen, aber darauf möchte ich hier nicht näher eingehen. Mir geht es um etwas Grundsätzliches: Selbst wenn solche genetischen Sprünge vorkommen, haben sie mit erderschütternden Katastrophen wie dem plötzlichen Aussterben der Dinosaurier nichts gemein außer der Tatsache, dass beide abrupt auftreten. Es ist eine rein poetische Analogie, und es ist schlechte Poesie, die zu keinen weiteren Erkenntnissen führt. Um noch einmal Medawar zu zitieren: Der Vergleich ist nicht der Anfang, sondern das Ende eines Gedankenganges. Man kann auf so vielfältige Weise Nicht-Gradualist sein, dass die Kategorie keinen Sinn mehr macht.
Das Gleiche gilt für die dritte Kategorie der Nicht-Gradualisten, die Anhänger der von Gould und Eldredge vertretenen Theorie der unterbrochenen Gleichgewichte. Danach entstehen biologische Arten in Zeiträumen, die kurz sind im Vergleich zu den viel längeren Phasen der «Stasis», in denen sie sich nach ihrer Entstehung nicht mehr verändern. In ihrer extremen Form besagt die Theorie: Wenn eine Art erst einmal vorhanden ist, bleibt sie unverändert bestehen, bis sie entweder ausstirbt oder sich in zwei neue Tochterarten aufspaltet. Die aus schlechter Poesie erwachsene Verwirrung stellt sich ein, wenn wir fragen, was sich während der plötzlichen Wellen der Artbildung eigentlich ereignet. Dann können zwei Dinge geschehen. Beide sind völlig verschieden, aber Gould bagatellisiert den Unterschied, weil er sich durch schlechte Poesie verführen lässt. Das eine ist die Makromutation. Die neue Spezies wird durch ein abweichendes Individuum begründet, beispielsweise durch eine Kröte, die angeblich die Augen im Mund trägt. Den zweiten möglichen Vorgang – der nach meiner Überzeugung plausibler ist, aber darum geht es hier nicht – kann man als schnellen Gradualismus bezeichnen. Die neue Art entsteht in einer kurzen Phase des schnellen entwicklungsgeschichtlichen Wandels, der zwar insofern allmählich verläuft, als dass Eltern nicht in einer Generation eine völlig neue Art hervorbringen, die sich aber doch so schnell abspielt, dass sie in den Fossilfunden wie ein Augenblick wirkt. Der Wandel verteilt sich über viele Generationen mit kleinen, schrittweisen Veränderungen, aber er sieht wie ein plötzlicher Sprung aus – entweder weil die Zwischenformen in einem anderen Gebiet lebten (beispielsweise auf einer abgelegenen Insel) und/oder weil die Zwischenformen eine so kurze Lebensdauer hatten, dass sie keine Fossilien bilden konnten – 10 000 Jahre sind eine so kurze Zeit, dass sie sich in vielen geologischen Schichten nicht messen lassen, und doch bieten sie mehr als genug Raum, um große entwicklungsgeschichtliche Wandlungen in kleinen Schritten zu vollziehen.
Zwischen schnellem Gradualismus und Makromutationen liegt ein himmelweiter Unterschied. Sie beruhen auf völlig unterschiedlichen Mechanismen, und aus ihnen ergeben sich grundlegend unterschiedliche Folgerungen für umstrittene darwinistische Fragen. Sie in einen Topf zu werfen, nur weil sie wie das Aussterben nach Katastrophen, zu Brüchen in den
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