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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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vertreten: die Vorstellung von Herbert Spencer, Julian Huxley und anderen (darunter auch Teilhard de Chardin), es gebe ein allgemeines Gesetz einer Evolution des Fortschritts, das nicht nur in der Biologie, sondern in allen Bereichen der Natur wirksam ist. Mit dem Begriff «Evolution» bezeichnen die heutigen Biologen einen recht genau definierten Prozess der systematischen Veränderung von Genhäufigkeiten in Populationen, verbunden mit den Veränderungen im Aussehen von Tieren und Pflanzen, die daraus im Laufe der Generationen erwachsen. Herbert Spencer, der – um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – das Wort «Evolution» als Erster in einem fachsprachlichen Sinn verwendete, sah in der biologischen Evolution nur einen Sonderfall. Evolution war für ihn ein viel allgemeinerer Vorgang, der auf allen Ebenen nach den gleichen Gesetzen ablief. Andere Ausprägungen des gleichen allgemeinen Evolutionsgesetzes waren in seinen Augen die Entwicklung des einzelnen Menschen (von der befruchteten Eizelle über den Fetus bis zum Erwachsenen), die Entwicklung des Universums, der Sterne und der Planeten aus einfacheren Anfängen und in historischer Zeit die Wandlungen des Fortschritts bei gesellschaftlichen Phänomenen wie Kunst, Technik und Sprache.
    Die Poesie dieses allgemeinen Evolutionsglaubens hat gute und schlechte Seiten. Nach sorgfältiger Abwägung glaube ich, dass er der Verwirrung stärker Vorschub leistet als der Erkenntnis, aber er enthält sicher beide Elemente. Die Analogie von Embryonalentwicklung und Evolution der Arten wurde von dem jähzornigen Genie J. B. S. Haldane als Argument in Diskussionen raffiniert genutzt. Wenn ein Kritiker der Evolutionstheorie Zweifel äußerte, dass etwas so Kompliziertes wie ein Mensch auf einen Anfang als Einzeller zurückgehen könne, konterte Haldane sofort mit der Bemerkung, dem Kritiker selbst sei genau das gelungen, und der ganze Vorgang habe nur neun Monate gedauert. Haldanes rhetorische Leistung wird auch nicht durch eine Tatsache gemindert, die er natürlich sehr genau kannte: Embryonalentwicklung ist nicht das Gleiche wie Evolution. In der Embryonalentwicklung ändert sich die Form eines einzelnen Gebildes wie der Ton unter den Händen des Töpfers. Wie man dagegen an den Fossilien aus aufeinander folgenden Gesteinsschichten erkennt, ähnelt die Evolution eher einer Reihe von Bildern in einem Kinofilm. Genau genommen verwandelt sich nicht ein Bild in das nächste, aber wenn wir die Bilder nacheinander ablaufen lassen, ergibt sich eine Illusion der Veränderung. Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung erkennt man sehr schnell, dass das Universum keine Evolution durchmacht (sondern eine Entwicklung), während es sich bei der Technik um Evolution handelt (die ersten Flugzeuge wurden nicht zu den späteren Modellen umgebaut, sondern auf die Geschichte der Fliegerei und vieler anderer Bereiche der Technik passt eher der Vergleich mit den Bildern im Film). Auch bei der Mode handelt es sich nicht um Entwicklung, sondern um Evolution. Ob der Vergleich zwischen genetischer Evolution auf der einen Seite und kultureller oder technischer Evolution auf der anderen zur Erhellung oder ihrem Gegenteil führt, ist umstritten, aber in diese Diskussion möchte ich mich hier nicht vertiefen.
    Meine restlichen Beispiele für schlechte Poesie in der Evolutionsforschung stammen im Wesentlichen von einem einzigen Autor: dem amerikanischen Paläontologen und Essayisten Stephen Jay Gould. Mir ist sehr daran gelegen, dass meine gezielte Kritik an einer einzelnen Person nicht als persönlicher Angriff aufgefasst wird. Im Gegenteil: Gerade weil Gould ein so hervorragender Schriftsteller ist, sind seine Fehler da, wo sie ihm unterlaufen, ein ausgezeichneter Anlass für eine Erwiderung.
    Im Jahr 1977 schrieb Gould als Einleitung zu einem Vielautorenwerk über Fossiluntersuchungen ein Kapitel über die «ewigen Metaphern der Paläontologie». Ausgehend von Whiteheads voreiliger, aber häufig zitierter Aussage, die ganze Philosophie sei eine Fußnote zu Platon, vertritt Gould die These, die in den Worten des (von ihm ebenfalls zitierten) Predigers Salomo lautet: Es geschieht nichts Neues unter der Sonne. «Was geschehen ist, eben das wird hernach sein. Was man getan hat, eben das tut man hernach wieder.» Die heutigen Meinungsverschiedenheiten in der Paläontologie seien nur alte Kontroversen, die neu ans Licht kommen. Sie
     
    sind älter als der Gedanke der Evolution und fanden in der

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