Der entzauberte Regenbogen
Experimente und die langwierigen, mühsamen Schritte der Empirie eingeschränkt. Gill stellt sie der Kunst und dem Theater mit ihrer Magie aus Licht, Elfenstaub, Musik und Applaus gegenüber.
Es gibt Sterne und Sterne, mein Liebling. Die einen sind langweilige, immer gleiche Linien auf dem Papier, die anderen sind großartig, witzig, gedankenanregend, unglaublich beliebt …
Mit «langweiligen, immer gleichen Linien» sind die Pulsare gemeint, die Bell und Hewish 1967 in Cambridge entdeckten. Gill schrieb eine Kritik über eine Fernsehsendung, in der die Astronomin Jocelyn Bell Burnell über jenen prickelnden Augenblick berichtete, als sie die Ausdrucke des Radioteleskops von Anthony Hewish sah und ihr klar wurde, dass sie etwas bis dahin völlig Unbekanntes vor sich hatte. Sie war eine junge Frau am Anfang ihrer Berufslaufbahn, und die «langweiligen, immer gleichen Linien» auf der Papierrolle sprachen zu ihr in der Sprache einer Revolution. Hier war nichts Neues unter der Sonne, sondern eine neue Art von Sonne, ein Pulsar. Pulsare drehen sich sehr schnell: Die Rotation, für die unser Planet 24 Stunden braucht, vollenden sie in einem Sekundenbruchteil. Aber der Energiestrahl, der dies verrät, der mit solch erstaunlicher Geschwindigkeit im Kreis wandert wie der Lichtkegel eines Leuchtturms und die Sekunden dabei genauer misst als ein Quarzkristall, braucht unter Umständen Millionen Jahre, bis er bei uns ankommt. Liebling, wie entsetzlich langweilig, wie schrecklich empirisch , mein Schatz! Gib mir jeden Tag den Elfenstaub im Pantomimentheater!
Die Ursache einer derart überzogenen und nicht begründeten Ablehnung ist nach meiner Einschätzung nicht die allgemeine Neigung, den Überbringer schlechter Nachrichten zu erschießen oder die Naturwissenschaft für politischen Missbrauch wie bei der Wasserstoffbombe verantwortlich zu machen. Nein, die von mir zitierten Feindseligkeiten klingen in meinen Ohren mehr nach persönlicher Angst, fast nach einem Gefühl von Bedrohung und Bedrückung, als fürchte man die Erniedrigung, weil Naturwissenschaft so schwer zu beherrschen ist. Dennoch würde ich es nicht wagen , so weit zu gehen wie John Carey, ein Professor für englische Literatur an der Universität Oxford, der in seinem bewundernswerten Faber Book of Science (1995) schreibt:
Die Horden, die alljährlich um die Plätze in den geisteswissenschaftlichen Seminaren britischer Universitäten kämpfen, und das Rinnsal der Bewerber in den Naturwissenschaften bezeugen, dass die Naturwissenschaft unter den jungen Leuten aufgegeben wurde. Die meisten Akademiker hüten sich zwar, es offen auszusprechen, aber allgemein scheint die Ansicht zu herrschen, geisteswissenschaftliche Studiengänge seien so beliebt, weil sie einfacher sind und weil die meisten Studenten dieser Fächer den geistigen Anforderungen eines naturwissenschaftlichen Studiums einfach nicht gewachsen wären.
Manche mathematisch orientierten naturwissenschaftlichen Fächer mögen tatsächlich schwierig sein, aber den Blutkreislauf und die Funktion des Herzens, das ihn in Gang hält, sollte eigentlich jeder ohne Schwierigkeiten begreifen können. Carey berichtet, wie er an einer großen Universität in einem Seminar von 30 Studienanfängern im letzten Englischsemester einige Zeilen von Donne zitierte: «Weißt du, wie Blut, das zu dem Herzen fleußt/von einer Kammer in die andre reist?» Dann fragte er die Studenten, wie denn das Blut nun tatsächlich fließt. Die Antwort wusste kein Einziger; nur einer vermutete zögernd: «Vielleicht durch Osmose?» Das ist nicht nur falsch. Was noch bedenklicher ist: Es ist auch dumm. Dumm im Vergleich zu der Tatsache, dass die Kapillaren, durch die das Blut vom Herzen gepumpt wird, insgesamt über 80 Kilometer lang sind. Wenn der Körper eines Menschen mit Schläuchen von mehr als 80 Kilometern Länge voll gestopft ist, kann man sich ohne weiteres klarmachen, wie dünn und fein verzweigt diese Schläuche sein müssen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das nicht für jeden echten Gelehrten ein faszinierender Gedanke ist. Und anders als beispielsweise Quantenmechanik oder Relativitätstheorie ist es sicher nicht schwer zu verstehen – es zu würdigen, mag allerdings schwieriger sein. Deshalb vertrete ich eine barmherzigere Ansicht als Professor Carey: Ich frage mich, ob diese jungen Leute von den Naturwissenschaftlern nicht ganz einfach im Stich gelassen und nicht ausreichend inspiriert wurden. Dass
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