Der entzauberte Regenbogen
Kreisen nach wie vor als witzig und schlau. Wie sonst wäre der folgende kleine Scherz zu verstehen, den ein Redakteur des Londoner Daily Telegraph kürzlich machte? Die Zeitung berichtete über die verblüffende Tatsache, dass ein Drittel der britischen Bevölkerung immer noch glaubt, die Sonne drehe sich um die Erde. An dieser Stelle fügte der Redakteur in eckigen Klammern eine Bemerkung ein: «[Tut sie das denn nicht? Red.]» Hätte eine Umfrage gezeigt, dass ein Drittel der Briten glaubt, Shakespeare habe die Ilias geschrieben, würde kein Redakteur humorvoll so tun, als kenne er Homer nicht. Aber mit naturwissenschaftlicher Unkenntnis zu kokettieren und stolz zu behaupten, man sei mathematisch unbegabt, ist durchaus gesellschaftsfähig. Ich habe das schon so oft gesagt, dass es vielleicht wehleidig klingt; deshalb möchte ich zitieren, was Melvin Bragg, zu Recht einer der angesehensten britischen Kunstkritiker, in seinem 1998 erschienenen Buch On Giant’s Shoulders über die Naturwissenschaftler schreibt:
Es gibt immer noch Leute, die sich damit brüsten, dass sie von Naturwissenschaft keine Ahnung haben – als ob sie das irgendwie zu besseren Menschen machen würde. In Wirklichkeit wirft es ein ziemlich schlechtes Licht auf sie, und sie setzen damit eine längst überkommene britische Tradition fort, den intellektuellen Snobismus, der Wissen generell und insbesondere die Naturwissenschaft als «Handwerk» verachtet.
Etwas Ähnliches sagte auch der beredte Nobelpreisträger Sir Peter Medawar, den ich bereits zitiert habe, über das «Handwerk»; er verspottete damit sehr eindringlich die britische Abneigung gegenüber allem Praktischen.
In China ließen die Mandarine angeblich ihre Fingernägel – oder jedenfalls einen davon – so lang wachsen, dass sie mit den Händen eindeutig keinerlei Tätigkeit mehr ausführen konnten; damit wollten sie allen klarmachen, dass sie verfeinerte, erhabene Geschöpfe waren, die keiner derartigen Beschäftigung mehr nachgingen. Eine solche Geste muss einfach großen Reiz für die Engländer haben, die in ihrem Snobismus alle anderen Nationen übertreffen; unser hochnäsiger Widerwille gegenüber angewandter Wissenschaft und Handwerk hat zu einem großen Teil dazu beigetragen, dass England in der Welt heute diesen und keinen anderen Platz einnimmt.
The Limits of Science (1984)
Der Widerwille gegen die Naturwissenschaft kann gereizte Züge annehmen. Betrachten wir einmal die Hasstirade der Romanschriftstellerin und Feministin Fay Weldon gegen «die Naturwissenschaftler»; sie erschien – ebenfalls im Daily Telegraph – am 2. Dezember 1991 (ich leite aus diesem zufälligen Zusammentreffen keine Folgerungen ab; das Blatt hat einen energischen Wissenschaftsredakteur und eine gute naturwissenschaftliche Berichterstattung):
Rechnet nicht damit, dass wir euch mögen. Ihr habt uns zu viel versprochen und es nicht gehalten. Nie habt ihr auch nur versucht, die Fragen zu beantworten, die wir alle mit sechs Jahren gestellt haben. Wohin ging Tante Maud, als sie gestorben ist? Wo war sie, bevor sie geboren wurde?
Man beachte, dass diese Vorwürfe denen von Bernard Levin (wonach Wissenschaftler nicht wissen, was sie nicht wissen) genau entgegengesetzt sind. Würde ich auf die beiden Fragen nach Tante Maud eine einfache, spontane Antwort geben, würde man mich sicher arrogant und anmaßend nennen, weil ich über das hinausgehe, was ich wissen kann, weil ich die Grenzen der Naturwissenschaft überschreite. Frau Weldon fährt fort:
Ihr glaubt, diese Fragen seien peinlich und zu einfach, aber es sind diejenigen, die uns interessieren. Wen kümmert die erste halbe Sekunde nach dem Urknall; was war mit der letzten halben Sekunde davor? Und wie steht es mit den Kreisen im Kornfeld? … Naturwissenschaftler vermögen der Vorstellung von einem veränderlichen Universum einfach nicht ins Gesicht zu sehen. Wir können es.
An keiner Stelle macht sie deutlich, wer mit diesem allumfassenden, wissenschaftsfeindlichen «Wir» gemeint ist, und heute bereut sie vermutlich den Ton ihres Artikels. Aber es lohnt sich zu fragen, woher derart unverhohlene Feindseligkeit kommt.
Ein weiteres Beispiel für die Wissenschaftsfeindlichkeit, das in diesem Fall wohl witzig sein soll, findet sich einem Artikel des locker-humorvollen Kolumnisten A. A. Gill, der am 8. September 1996 in den Londoner Sunday Times erschien. Darin heißt es, Naturwissenschaft sei durch
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