Der entzauberte Regenbogen
Innenrund,
Das ihren Flug zurücklenkt in die Luft;
Auf daß sie wieder suchen ihren Quell
Und, alldieweil sie auf verschiedner Bahn
In des Betrachters hemmnisgleiches Auge fallen,
Verschieden leuchten, da der Farbe Art
Sich wandelt von dem prächtgen Rot der Rose
Bis zu des blassen Veilchens mattem Ton.
Mark Akenside, The Pleasures of Imagination (1744)
Im Dezember 1817 machte der englische Maler und Kritiker Benjamin Haydon in seinem Londoner Atelier die Dichter John Keats und William Wordsworth miteinander bekannt. Auch Charles Lamb und andere Gestalten aus der Londoner Literaturszene waren zugegen. Zu besichtigen war Haydons neues Gemälde vom Einzug Jesu in Jerusalem, auf dem Newton als Jünger und Voltaire als Skeptiker abgebildet waren. Der angetrunkene Lamb machte Haydon Vorwürfe, weil er Newton gemalt hatte, «einen Kerl, der an nichts glaubte, wenn es nicht so klar war wie die drei Seiten eines Dreiecks». Newton, da war sich Keats mit Lamb einig, habe die Poesie des Regenbogens zerstört, indem er ihn auf die Spektralfarben reduzierte. «Es war unmöglich, ihm zu widersprechen», sagte Haydon, «und dann tranken wir alle auf ‹Newtons Gesundheit und die Verwirrung der Mathematik›.» Jahre später erinnerte sich Haydon in einem Brief an Wordsworth an das «unvergessliche Abendessen»:
Und weißt du noch, wie Keats den Trinkspruch ausbrachte «Auf dass Newtons Andenken verblasse», wie du vor dem Trinken auf einer Erklärung bestanden hast und wie er sagte: «Weil er die Poesie des Regenbogens zerstört hat, indem er ihn auf ein Brechungsspektrum reduzierte»? Ach, lieber alter Freund, du und ich, wir werden solche Tage nicht wieder erleben!
Benjamin Haydon, Autobiography and Memoirs
Drei Jahre nach dem Abendessen bei Haydon schrieb Keats in seinem langen Gedicht «Lamia» (1820):
Flieht nicht alle Magie
Vorm bloßen Hauch kalter Philosophie?
Stolz stand am Himmel einst der Regenbogen:
Bekannt sind Bau, Textur; sind einbezogen
In einen Katalog der Alltagsdinge.
Philosophie stutzt eine Engelsschwinge,
Ficht Wunder an durch Regeln und Axiome,
Leert die beseelte Luft, den Schacht der Gnome –
Entwirrt den Regenbogen …
Wordsworth hatte mehr Hochachtung vor der Naturwissenschaft und vor Newton («der allein durch ein fremdes Gedankenland reiste»). Im Vorwort zu seinen Lyrischen Balladen (1802) sagte er eine Zeit voraus, da «noch die abgelegensten Entdeckungen des Chemikers, Botanikers oder Mineralogen ein ebenso geeigneter Gegenstand der Dichtkunst sein werden wie alles andere, worauf man sie anwenden kann».
An anderer Stelle sagte sein Kollege Coleridge: «Die Seelen von 500 Sir Isaac Newtons würden gebraucht, um die Begabungen eines Shakespeare oder Milton aufzuwiegen.» Das kann man als unverhohlene Feindseligkeit eines führenden Romantikers gegen die Naturwissenschaft im Allgemeinen deuten, aber bei Coleridge liegen die Dinge komplizierter. Er hatte viel über Naturwissenschaften gelesen und bezeichnete sich selbst als wissenschaftlichen Denker, nicht zuletzt bei Themen wie Licht und Farbe, wo er seinen eigenen Behauptungen zufolge Goethe zuvorkam. Manche naturwissenschaftlichen Spekulationen von Coleridge erwiesen sich als Plagiate, und in der Frage, von wem er abschreiben sollte, war sein Urteilsvermögen möglicherweise nicht besonders gut. Coleridges Hass richtete sich nicht auf die Naturwissenschaftler im Allgemeinen, sondern insbesondere auf Newton. Dagegen hielt er eine Menge von Sir Humphry Davy, dessen Vorträge an der Royal Institution er besuchte, «um meinen Metaphernvorrat aufzufüllen». Er hatte den Eindruck, Davys Entdeckungen seien im Vergleich zu denen Newtons «intellektueller, erhebender, eine Veredelung des Wesens der Menschen». Seine Wortwahl mit Ausdrücken wie «erhebend» und «Veredelung» lässt darauf schließen, dass Coleridge das Herz in Sachen Naturwissenschaft auf dem rechten Fleck hatte, nur nicht im Hinblick auf Newton. Aber es gelang ihm nicht, seine eigenen Ideale – seine Ideen «in eindeutigen, klaren, verständlichen Begriffen darzulegen und anzuordnen» – zu verwirklichen. Zu den Themen Spektrum und Entwirrung des Regenbogens äußerte er sich 1817 in einem Brief, der seine ganze Konfusion offenbart:
Für mich, ich räume es ein, sind Newtons Behauptungen, erstens dass ein Lichtstrahl ein physikalisches, synodisches Individuum ist, zweitens, dass 7 getrennte Individuen in diesem komplizierten und doch aufteilbaren Strahl
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