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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Naturwissenschaft hatte – wie es sich für den ersten Premierminister eines Landes gehört, das es sich nicht leisten kann, herumzupfuschen – der große Humanist und philanthropische Staatsmann Jawaharlal Nehru:
     
    Wissenschaft allein kann die Probleme von Hunger und Armut lösen, von mangelnder Hygiene und Analphabetismus, von Aberglauben und tödlichen Gewohnheiten und Traditionen, von riesigen Ressourcen, die vergeudet werden, die Probleme eines reichen Landes, das von armen Menschen bevölkert ist … Wer könnte es sich leisten, heute die Naturwissenschaft zu ignorieren? An jeder Ecke müssen wir ihre Hilfe in Anspruch nehmen … Die Zukunft gehört der Naturwissenschaft und denen, die sich mit ihr anfreunden.  1
    (1962)
     
    Andererseits artet die selbstbewußte Behauptung der Naturwissenschaftler, wir wüssten so viel und Wissenschaft sei nützlich, manchmal auch in Überheblichkeit aus. Der angesehene Embryologe Lewis Wolpert räumte einmal ein, Naturwissenschaft sei gelegentlich arrogant, und anschließend bemerkte er nachsichtig, die Naturwissenschaft habe auch eine ganze Menge, weswegen sie arrogant sein könne. Ähnlich äußerten sich Peter Medawar, Carl Sagan und Peter Atkins.
    Arrogant oder nicht: Wir legen zumindest Lippenbekenntnisse für die Idee ab, dass der Fortschritt der Naturwissenschaft aus der Widerlegung ihrer Hypothesen erwächst. Konrad Lorenz, der Vater der Verhaltensforschung, sagte einmal in einer seiner charakteristischen Übertreibungen, er freue sich darauf, jeden Tag vor dem Frühstück mindestens eine Lieblingshypothese zu widerlegen. Aber eines ist wahr: Mehr als beispielsweise Juristen, Ärzte oder Politiker gewinnen Naturwissenschaftler unter ihren Kollegen an Ansehen, wenn sie öffentlich ihre Fehler eingestehen. Eines meiner prägenden Erlebnisse hatte ich als junger Student in Oxford: Ein Gastdozent aus Amerika trug Belege vor, mit denen er die Lieblingstheorie des hoch geachteten Seniorchefs unseres zoologischen Instituts eindeutig widerlegte, eine Theorie, mit der wir alle groß geworden waren. Am Ende des Vortrages stand der alte Mann auf, schritt in dem Hörsaal nach vorn, schüttelte dem Amerikaner voller Zuneigung die Hand und sagte in klangvollem, bewegtem Ton: «Mein lieber Freund, ich danke Ihnen. Ich hatte fünfzehn Jahre lang Unrecht.» Wir klatschten, bis uns die Handflächen brannten. Welcher andere Berufsstand geht so großzügig mit den eigenen, eingestandenen Fehlern um?
    Naturwissenschaft schreitet fort, indem sie ihre Fehler korrigiert, und sie macht kein Geheimnis aus dem, was man noch nicht versteht. Dennoch erweckt sie meist genau den umgekehrten Eindruck. Als Bernard Levin noch Kolumnist der Londoner Times war, schimpfte er gelegentlich wortreich auf die Naturwissenschaft. Am 11. Oktober 1996 schrieb er einen Artikel mit der Überschrift «Gott, ich und Dr.   Dawkins»; der Untertitel lautete: «Wissenschaftler wissen nichts, und ich weiß auch nichts – aber wenigstens weiß ich, dass ich nichts weiß», und darüber war ich als Karikatur von Michelangelos Adam zu sehen, der sich dem Zeigefinger Gottes nähert. Jeder Naturwissenschaftler würde jetzt energisch protestieren: Zu wissen, was wir nicht wissen, gehört zum innersten Kern der Naturwissenschaft. Nichts anderes treibt uns an, etwas herauszufinden. In einer früheren Kolumne, am 29. Juli 1994, machte Bernard Levin sich über die Quarks lustig («Die Quarks kommen! Die Quarks kommen! Lauft um euer Leben …»). Nach weiteren Ausfällen über die «ehrwürdige Wissenschaft», die uns Handys, zusammenschiebbare Regenschirme und Zahnpasta mit Streifen beschert hat, verfiel er in gespielte Ernsthaftigkeit:
     
    Kann man Quarks essen? Kann man sich damit zudecken, wenn es draußen kalt wird?
     
    So etwas verdient eigentlich noch nicht einmal eine Antwort, aber der Metallurge Sir Alan Cottrell aus Cambridge widmete ihm einige Tage später in einem Leserbrief dennoch zwei Sätze:
     
    Sehr geehrte Damen und Herren, Mr.   Bernard Levin fragt, ob man Quarks essen kann. Nach meiner Schätzung isst er etwa 500   000   000   000   000   000   000   000   001 Quarks am Tag … Mit freundlichen Grüßen …
     
    Zuzugeben, was man nicht weiß, ist eine Tugend, aber wenn es um Geisteswissenschaften geht, würde schadenfrohe Unkenntnis solchen Ausmaßes zu Recht von keinem Redakteur hingenommen. Handelt es sich aber um Naturwissenschaft, gilt spießerhafte Unkenntnis in gewissen

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