Der entzauberte Regenbogen
wie die Gegenstände «wirklich» aussehen. Heute ist mir klar, dass alles, was ich zu sehen glaube, auch der Anblick meines eigenen Gartens durch das Küchenfenster, in dem gleichen Sinn «falsch» ist: Verschiedene Lichtwellenlängen werden – in diesem Fall von meinem Gehirn – bequemlichkeitshalber mit Etiketten versehen. Im Kapitel 11 werde ich die Ansicht vertreten, dass alle unsere Wahrnehmungen eine Art «eingeschränkter virtueller Realität» sind, die im Gehirn konstruiert wird. (Eigentlich bin ich von Falschfarbenaufnahmen immer noch enttäuscht!)
Ob verschiedene Menschen mit bestimmten Wellenlängen die gleichen Assoziationen verbinden, können wir nie in Erfahrung bringen. Wir können nur Meinungen darüber austauschen, welche Farben Mischungen aus welchen anderen sind. Die meisten Menschen sind einhellig der Ansicht, dass Orange eine Mischung aus Rot und Gelb ist. Dass Blaugrün eine Mischung ist, drückt schon das zusammengesetzte Wort aus, nicht jedoch der Begriff «Türkis». Ob sich verschiedene Sprachen über die Aufteilung des Spektrums einig sind, ist umstritten. Manche Linguisten behaupten, die walisische Sprache unterscheide nicht wie die englische zwischen dem grünen und dem blauen Abschnitt des Spektrums. Stattdessen, so heißt es, habe das Walisische ein Wort, das einem Teil des grünen Bereiches entspricht, und ein weiteres, das den zweiten Teil des grünen Bereiches und das gesamte Blau bezeichnet. Andere Sprachforscher und Anthropologen halten das für einen Mythos, in dem nicht mehr Wahrheit steckt als in der ebenso verführerischen Behauptung, die Inuit («Eskimos») hätten über 50 verschiedene Wörter für Schnee. Zum Beleg führen diese Skeptiker Experimente an, in denen man Muttersprachlern eine breite Palette farbiger Scheibchen vorlegte; dabei zeigte sich, dass es in der Art, wie Menschen das Spektrum einteilen, starke allgemeine Gesetzmäßigkeiten gibt. Tatsächlich sind Experimente die einzige Methode, um die Frage zu beantworten. Dass die Geschichte von der walisischen Aufteilung zwischen Blau und Grün sich für einen englischen Muttersprachler nicht plausibel anhört, spielt keine Rolle. In der Physik gibt es nichts, was man dagegen anführen könnte. Die Tatsachen, wie sie auch aussehen mögen, sind Tatsachen der Psychologie.
Im Gegensatz zu den Vögeln, die eine ausgezeichnete Farbwahrnehmung besitzen, können viele Säugetiere Farben gar nicht als solche erkennen. Andere, darunter auch manche teilweise farbenblinde Menschen, bedienen sich eines Zwei-Farben-Systems mit zwei Zapfentypen. Die hochwertige Farbwahrnehmung mit dem Drei-Farben-System dürfte sich bei unseren Primatenvorfahren entwickelt haben, weil sie damit Früchte im grünen Wald leichter finden konnten. Der Psychologe John Mollon aus Cambridge hat sogar die Vermutung geäußert, das Drei-Farben-System sei vielleicht «ein Hilfsmittel, das manche Früchte tragenden Bäume erfunden haben, um sich fortzupflanzen» – auf diese phantasievolle Weise wollte er die Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass es den Bäumen nützt, wenn sie Tiere anlocken, die ihre Früchte fressen und die Samen weitertragen. Manche Neuweltaffen gehen seltsame Abkommen ein, da bei ihnen einzelne Individuen derselben Art unterschiedlich kombinierte Zwei-Farben-Systeme besitzen und deshalb auf das Erkennen unterschiedlicher Gegenstände spezialisiert sind. Ob und wie ihnen das nützt, wissen wir nicht, aber vielleicht ist es aufschlussreich, dass Bomberbesatzungen im Zweiten Weltkrieg gern einen farbenblinden Mann mit an Bord nahmen, weil dieser bestimmte Arten der Tarnung auf dem Boden erkennen konnte.
Gehen wir über den bekannten Regenbogen hinaus und begeben wir uns zum Entwirren in andere Teile des elektromagnetischen Spektrums: Wir stellen einzelne Sender auf der Radioskala ein und trennen die Gespräche im Netz der Mobiltelefone. Ohne feinmaschige Aufspaltung des elektromagnetischen Regenbogens würden wir alle Telefongespräche und alle Radiostationen gleichzeitig hören – ein rauschendes Durcheinander der Töne. Auf ganz andere Weise und von speziellen Computern unterstützt, wird die Zerlegung des Regenbogens auch zur Grundlage der Kernresonanzbildgebung (Kernspintomographie), jener faszinierenden Technik, mit der die Ärzte heute den räumlichen Aufbau unserer inneren Organe untersuchen können.
Etwas Besonderes beobachtet man, wenn sich die Strahlungsquelle im Verhältnis zum Empfänger bewegt. Die
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