Der entzauberte Regenbogen
aus ihren beiden Formen ziehen, gehört das Rhodopsin. Wird es von Licht getroffen, schaltet es wie eine Fotozelle von einem Zustand in den anderen um, und nach einer kurzen Erholungsphase fällt es automatisch wieder in die alte Form zurück. In einer der beiden Formen ist es ein wirksamer Katalysator, in der anderen aber nicht. Wenn das Licht also dafür sorgt, dass es seine aktive Gestalt annimmt, setzt es eine gezielte Kettenreaktion mit dem schnellen Umsatz von Molekülen in Gang. Es ist, als hätte das Licht ein Hochdruckventil geöffnet.
Das Endprodukt der so ausgelösten chemischen Kaskade ist ein Strom von Nervenimpulsen, die über eine Reihe von Nervenzellen zum Gehirn geleitet werden. Jede dieser Zellen ähnelt einem langen, dünnen Rohr. Auch Nervenimpulse sind schnelle, katalysierte chemische Veränderungen. Sie rasen an den langen dünnen Röhren entlang wie eine zischende Flamme an einer Spur aus Schießpulver. Jedes dieser Lauffeuer bewegt sich unabhängig von den anderen, und deshalb erreichen sie das Ende des Rohres wie eine Reihe von Funkenschlägen. Die Geschwindigkeit, mit der die Nervenimpulse eintreffen – es können in jeder Sekunde einige Hundert sein –, gibt in codierter Form (in diesem Fall) die Helligkeit des Lichtes wieder, das auf die Zapfen- oder Stäbchenzelle fällt. Aus der Sicht einer einzelnen Nervenzelle ist der Unterschied zwischen starker und schwacher Stimulation gleichbedeutend mit dem Unterschied zwischen einem Schnellfeuergewehr und einer gelegentlich abgefeuerten Jagdflinte.
Bis hierher trifft meine Beschreibung auf Stäbchen und alle drei Arten von Zapfen gleichermaßen zu. Kommen wir nun zu den Unterschieden. Zapfen sprechen nur auf helles Licht an. Die Stäbchen nehmen auch Dämmerlicht wahr und werden für das Nachtsehen gebraucht. Außerdem sind die Stäbchen auf der ganzen Netzhaut verteilt und liegen nirgendwo besonders dicht, das heißt, sie können kleine Einzelheiten nicht gut auflösen. Man kann mit ihnen nicht lesen. Wir lesen mit den Zapfen, die in einem bestimmten Bereich der Netzhaut, der Sehgrube oder Fovea, besonders dicht stehen. Je geringer ihre Abstände sind, desto feinere Details kann man natürlich mit ihnen erkennen.
Am Farbensehen sind die Stäbchen nicht beteiligt: Sie besitzen allesamt dieselbe Wellenlängenempfindlichkeit. Am stärksten sprechen sie auf das gelbe Licht in der Mitte des sichtbaren Spektrums an, zu den Enden des Spektrums hin nimmt ihre Empfindlichkeit dagegen ab. Das heißt aber nicht, dass sie dem Gehirn immer über gelbes Licht berichten würden. Es hat nicht einmal einen Sinn, so etwas zu sagen. Alle Nervenzellen geben ihre Informationen als Impulse an das Gehirn weiter, das ist alles. Gibt ein Stäbchen schnelle Impulse ab, kann das entweder bedeuten, dass viel rotes oder blaues Licht vorhanden ist oder aber dass etwas weniger gelbes Licht ins Auge fällt. Zwischen diesen Möglichkeiten kann das Gehirn nur unterscheiden, wenn es gleichzeitig die Informationen mehrerer Zelltypen erhält, die für die einzelnen Farben unterschiedlich empfindlich sind. Hier kommen die drei Farben ins Spiel. In den drei Zäpfchentypen befinden sich unterschiedliche Versionen des Rhodopsins. Alle drei sprechen auf Licht aller Wellenlängen an, aber die eine ist besonders empfindlich für blaues Licht, die zweite für grünes und die dritte für rotes. Das Nervensystem vergleicht die Geschwindigkeit der Impulse, die aus den drei Zäpfchentypen kommen – das heißt, es subtrahiert sie voneinander –, und rekonstruiert auf diese Weise die Lichtwellenlängen, die auf den fraglichen Teil der Netzhaut fallen. Anders als beim reinen Stäbchensehen hat das Gehirn hier nicht die Wahl zwischen schwachem Licht in einer Farbe und starkem Licht in einer anderen: Da es Informationen von Zapfen mehrerer Typen erhält, kann es die wirkliche Farbe des Lichtes ausrechnen.
Wie ich schon im Zusammenhang mit Doktor Doolittle auf dem Mond erwähnt habe, sind die Farben, die wir zu sehen glauben, bequeme Etikettierungen, die unser Gehirn vergibt. Ich war häufig enttäuscht, wenn ich «Falschfarbenaufnahmen» sah, Satellitenfotos der Erde zum Beispiel oder Computergrafiken des Weltraums. Aus der Legende solcher Bilder erfahren wir, die Farben seien willkürliche Codes, die beispielsweise in einer Satellitenaufnahme Afrikas verschiedene Formen der Vegetation kennzeichnen. Ich hielt solche Falschfarbenaufnahmen meist für eine Art Täuschung. Ich wollte wissen,
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