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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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sich von den vertrauten Farbtönen ebenso stark unterschieden wie Rot von Blau. Welche Farben einen Reisenden in einer fremden Welt begrüßen, hängt immer davon ab, was für ein Gehirn er von seinem Heimatplaneten mitbringt.  1 Heute wissen wir recht genau darüber Bescheid, wie das Auge dem Gehirn die Lichtwellenlänge mitteilt. Es bedient sich dazu eines Drei-Farben-Codes, wie er auch beim Farbfernsehen verwendet wird. In der menschlichen Netzhaut gibt es vier Typen lichtempfindlicher Zellen: drei Arten von «Zapfen» und die «Stäbchen». Alle vier ähneln einander und sind sicher durch Auseinanderentwicklung aus einem gemeinsamen Vorfahren entstanden. Was man im Zusammenhang mit allen Arten von Zellen leicht vergisst, ist die enorme Komplexität jeder einzelnen Zelle. Ein großer Teil dieser Komplexität kommt durch eng gefaltete innere Membranen zustande. Jede winzige Zapfen- oder Stäbchenzelle enthält einen dicken Stapel aus Membranen, die übereinander liegen wie eine hohe Säule aus Büchern. In jedem «Buch» schlängelt sich ein langes, dünnes Proteinmolekül hin und her, das Rhodopsin. Wie viele Proteine wirkt es als Enzym: Es katalysiert eine ganz bestimmte chemische Reaktion, indem es einen richtig geformten Hohlraum zur Verfügung stellt, in den sich die passenden Moleküle hineinschieben.
    Die Katalysatoreigenschaft eines Enzyms ergibt sich aus der räumlichen Form seines Moleküls: Es dient als sorgfältig gestaltete und dennoch geringfügig flexible Form für andere Moleküle, die zu ihm passen und dort aufeinander treffen – ansonsten wären sie darauf angewiesen, dass sie zufällig zusammenstoßen (das ist der Grund, warum Enzyme chemische Reaktionen so gewaltig beschleunigen). Dieses elegante System gehört zu den entscheidenden Dingen, die Leben erst möglich machen, aber es wirft auch ein Probem auf. Viele Enzymmoleküle können sich zu mehreren Formen zusammenfalten, und meist ist nur eine davon erwünscht. Die Wirkung der natürlichen Selektion im Laufe der Jahrmillionen bestand zu einem großen Teil darin, «entscheidungsfreudige», «zielstrebige» Moleküle zu finden, die für ihre Lieblingsform eine viel stärkere «Vorliebe» haben als für jede andere Gestalt. Moleküle mit zwei möglichen Formen können zu einer tragischen Bedrohung werden. «Rinderwahnsinn», die Schafskrankheit Scrapie und ihre Entsprechungen bei Menschen, Kuru- und Creutzfeldt-Jacob-Krankheit, werden von Prionen verursacht, Proteinen mit zwei Alternativformen. Normalerweise falten sie sich zu einer davon, und in dieser Anordnung erfüllen sie eine nützliche Aufgabe. Gelegentlich aber nehmen sie die zweite Form an, und dann geschieht Schreckliches. Ist ein Protein mit der Alternativform vorhanden, veranlasst es auch andere, das hinterhältige Spiel mitzuspielen. Epidemieartig breiten sich falsch geformte Proteine im Organismus aus – wie eine Reihe umfallender Dominosteine. Ein einziges missgestaltetes Protein kann einen neuen Organismus infizieren und dort wiederum den Dominoeffekt in Gang setzen. In seiner zweiten Form erfüllt das Protein seine normale Aufgabe nicht, und die Folge ist der Tod, verursacht durch schwammartige Löcher im Gehirn.
    Die Prionen haben für eine Menge Verwirrung gesorgt, denn sie verbreiten sich wie Viren. Viren können sich selbst verdoppeln. Prionen sind aber Proteine, von denen man annimmt, dass sie sich nicht selbst vermehren können. Lehrbücher der Biologie behaupten, die Selbstverdoppelung sei das ausschließliche Privileg der Polynucleotide (DNA und RNA). Und außerdem vermehren sich Prionen auch nur in einem sehr eingeschränkten Sinn: Ein falsch geformtes, bösartiges Molekül «überredet» seine bereits vorhandenen Nachbarn, ebenfalls diese Gestalt anzunehmen.
    In anderen Fällen schlagen Enzyme, die in zwei Formen vorkommen können, Kapital aus ihrer Wandelbarkeit. Die Fähigkeit zum Umschalten ist immerhin auch die entscheidende Eigenschaft von Transistoren, Dioden und anderen schnellen elektronischen Bauteilen, die in Computern die logischen Operationen – WENN, NICHT, UND, ODER und so weiter – möglich machen. Es gibt «allosterische» Enzyme, die wie ein Transistor von einem Zustand in den anderen wechseln, aber nicht, weil sie wie Prionen von einem Nachbarn angesteckt oder «überredet» werden, sondern nur, WENN eine biologisch nützliche Voraussetzung gegeben ist, UND NICHT unter bestimmten anderen Bedingungen. Zu diesen «Transistorproteinen», die Nutzen

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