Der entzauberte Regenbogen
nicht, ob man an einen solchen Zufall nicht glauben kann, denn mein gelehrter Kollege hat uns keinerlei Indizien vorgelegt, die etwas über die Seltenheit oder Häufigkeit dieser drei Münzen in der Gesamtbevölkerung aussagen. Wenn diese Münzen so selten sind, dass nur einer von hundert Sammlern im Lande eine davon besitzt, hat die Anklage eine gute Begründung, denn mein Mandant wurde mit drei davon gefasst. Sind diese Münzen dagegen so häufig wie der Sand am Meer, reicht das Indiz für eine Überführung nicht aus. (Um die Sache ins Extrem zu treiben: Drei Münzen, die ich heute in der Tasche habe, alles gesetzliche Zahlungsmittel, gleichen höchstwahrscheinlich drei anderen Münzen, die Euer Ehren in der Tasche haben.)
Mir geht es darum, dass keiner der juristisch geschulten Köpfe im Gerichtssaal es auch nur für notwendig erachtete, sich danach zu erkundigen, wie selten diese Münzen in der Gesamtbevölkerung sind. Anwälte können sicherlich addieren (ich erhielt einmal eine Anwaltsrechnung, auf der als letzter Posten «Zeit zum Ausstellen dieser Rechnung» berechnet wurde), aber Wahrscheinlichkeitsrechnung ist etwas anderes.
Ich muss davon ausgehen, dass es sich tatsächlich um seltene Münzen handelte. Sonst wäre der Diebstahl keine derart ernste Angelegenheit gewesen und man hätte vermutlich niemals Anklage erhoben. Aber das hätte man den Geschworenen ausdrücklich sagen sollen. Ich weiß noch, dass die Frage im Beratungszimmer aufgeworfen wurde, und in diesem Augenblick wären wir gern zurück in den Gerichtssaal gegangen, um Klarheit zu schaffen. Ebenso wichtig ist die entsprechende Frage auch bei Indizien, die sich auf DNA-Analysen stützen, und dabei wird sie auch mit ziemlicher Sicherheit gestellt. Aber wenn man eine ausreichend große Zahl getrennter genetischer Loci untersucht, kann man die Gefahr einer falschen Identifizierung glücklicherweise sogar unter den Angehörigen von Minderheiten oder einzelner Familien (ausgenommen eineiige Zwillinge) auf ein wirklich sehr geringes Maß vermindern, das weit kleiner ist als alles, was sich mit anderen Identifizierungsmethoden einschließlich der Augenzeugenberichte erreichen lässt.
Wie groß die verbleibende Fehlerwahrscheinlichkeit ist, bleibt im Einzelnen zu erörtern. An dieser Stelle setzen die Einwände des dritten Typs gegen die DNA-Analysen an, die schlicht und einfach dumm sind. Anwälte sind es gewohnt, sich auf scheinbare Meinungsverschiedenheiten zwischen Sachverständigen zu stürzen. Wenn zwei Genetiker vorgeladen werden, damit sie die Wahrscheinlichkeit einer falschen Identifizierung durch DNA-gestützte Indizien abschätzen, sagt der erste vielleicht eins zu einer Million, und der zweite sagt nur eins zu 100 000. Nichts wie drauf. «Aha! AHA! Die Fachleute sind sich nicht einig! Meine Damen und Herren Geschworenen, welches Vertrauen können wir zu einer wissenschaftlichen Methode haben, wenn selbst die Experten mit ihrer Meinung um den Faktor zehn auseinander liegen? Da können wir doch nur eines tun: den ganzen Beweis mit allem Drum und Dran außen vor lassen.»
In Wirklichkeit neigen Genetiker in solchen Fällen zwar vielleicht dazu, Unwägbarkeiten wie die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe unterschiedlich zu bewerten, aber bei ihren Meinungsverschiedenheiten geht es nur darum, ob eine hypermegaastronomische Wahrscheinlichkeit oder nur eine astronomische Wahrscheinlichkeit gegen eine falsche Identifizierung spricht. Die Wahrscheinlichkeit liegt normalerweise mindestens bei mehreren tausend zu eins, sie kann aber ohne weiteres auch in die Milliarden gehen. Selbst bei vorsichtigster Schätzung ist eine falsche Identifizierung weitaus unwahrscheinlicher als mit der herkömmlichen Reihe von Personen. «Euer Ehren, die Identifizierung mit einer Reihe von nur zwanzig Männern ist meinem Mandanten gegenüber unfair. Ich fordere eine Reihe von mindestens einer Million Männern!»
Auch wenn Statistikexperten Angaben darüber machten sollten, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine herkömmliche Identifizierung aus einer Gruppe von 20 Personen zu einem falschen Ergebnis führt, wären sie unterschiedlicher Meinung. Einige würden die einfache Antwort geben: 1 zu 20. Im Kreuzverhör würden sie dann einräumen, sie könne 1 zu weniger als 20 sein, je nachdem, welche Schwankungsbreite in der Gesamtheit im Verhältnis zu den Eigenschaften des Verdächtigen besteht (um nichts anderes ging es bei dem einsamen Bartträger unter
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