Der entzauberte Regenbogen
Neptun trete in den Wassermann ein. Der Wassermann ist eine unzusammenhängende Gruppe von Sternen, die ganz unterschiedlich weit von uns entfernt sind und untereinander in keinerlei Beziehung stehen, abgesehen davon, dass sie ein (bedeutungsloses) Muster bilden, wenn man sie von einem bestimmten (nicht sonderlich außergewöhnlichen) Ort in der Galaxis aus (nämlich von der Erde) betrachtet. Ein Sternbild ist kein Gebilde, und damit ist es auch nicht etwas, in das Neptun oder irgendwer sonst «eintreten» könnte.
Außerdem ist die Form der Sternbilder vergänglich. Vor einer Million Jahren sahen unsere Vorfahren der Spezies Homo erectus am nächtlichen Himmel (damals ohne Lichtverschmutzung, mal abgesehen von der genialen Erfindung dieser Spezies, dem Lagerfeuer) ganz andere Sternbilder. In einer Million Jahren werden unsere Nachkommen wiederum ganz andere Formen am Himmel erblicken, und wir wissen heute schon genau, wie sie aussehen werden. Es ist eine der genauen Voraussagen, die Astronomen – nicht aber Astrologen – machen können. Und sie wird – wiederum im Gegensatz zu den Voraussagen der Astrologen – richtig sein.
Wenn wir zu der großen Galaxie im Sternbild Andromeda aufschauen, sehen wir sie wegen der endlichen Geschwindigkeit des Lichtes so, wie sie vor 2,3 Millionen Jahren war, als Australopithecus durch das hohe Gras der Savanne streifte. Wir blicken rückwärts in die Zeit. Bewegen wir die Augen um ein paar Grad in Richtung des nächsten hellen Sterns in der Andromeda, dann sehen wir Mirach, aber sein Bild stammt aus viel jüngerer Zeit, nämlich als es den Börsenkrach in der Wall Street gab. Die Sonne, deren Farbe und Form wir erleben, ist acht Minuten weit weg. Richten wir aber ein großes Teleskop auf die Sombrero-Galaxie, dann sehen wir eine Billion Sonnen so, wie sie waren, als unsere geschwänzten Vorfahren vorsichtig aus den Baumkronen lugten und Indien auf Asien prallte, sodass der Himalaya in die Höhe stieg. Eine weitaus größere Kollision zwischen zwei Galaxien im Stephan-Quintett fand zu einer Zeit statt, als sich auf der Erde die Dinosaurier ankündigten und die Trilobiten gerade ausgestorben waren.
Nenne mir ein beliebiges Ereignis in der Geschichte, und ich sage dir da draußen einen Stern, dessen Licht uns etwas aus dem Jahr dieses Ereignisses sehen lässt. Beinahe jeder findet am Nachthimmel seinen persönlichen Geburtstagsstern. Das nukleare Glühen seines Lichtes verkündet das Jahr seiner Geburt. Man kann sogar eine ganze Reihe solcher Sterne finden (wenn man 40 ist, etwa 40; ist man 50, ungefähr 70; und ein Achtzigjähriger findet rund 175 Sterne). Betrachtet man einen solchen Geburtsstern, wird das Teleskop zur Zeitmaschine: Mit seiner Hilfe werden wir Zeugen der thermonuklearen Vorgänge, die sich in Wirklichkeit im Jahr unserer Geburt abgespielt haben. Ein angenehmer Gedanke, aber das ist auch alles. Der Geburtsstern wird sich nicht herablassen, etwas über Persönlichkeit, Zukunft oder sexuelle Vorlieben auszusagen. Sterne haben eine größere Tagesordnung, und darin kommen die Petitessen des menschlichen Treibens nicht vor.
Der Geburtsstern gehört uns natürlich nur in diesem Jahr. Im nächsten müssen wir uns auf der Oberfläche einer größeren Kugel umsehen, die ein Lichtjahr weiter entfernt ist. Wir können uns diese ständig wachsende Kugel als eine Sphäre der guten Nachrichten vorstellen, denn sie trägt die Nachricht von unserer Geburt in immer größere Ferne. In dem einsteinschen Universum, in dem wir nach Ansicht der meisten Physiker leben, kann prinzipiell nichts schneller sein als das Licht. Wer also 50 Jahre alt ist, «besitzt» eine Blase mit einem Radius von 50 Lichtjahren. Innerhalb dieser Kugel (in der etwas über 1000 Sterne liegen) könnte sich die Nachricht von seiner Geburt im Prinzip verbreitet haben (auch wenn es in der Praxis natürlich nicht möglich ist). Außerhalb davon ist es so, als gäbe es die betreffende Person nicht – im einsteinschen Sinn existiert sie nicht. Ältere Menschen haben eine größere «Daseinssphäre» als jüngere, aber für niemanden erstreckt sie sich weiter als über einen winzigen Bruchteil des Universums. Die Geburt Jesu mag uns heute, da sein 2000. Geburtstag bevorsteht, als längst vergangenes, folgenschweres Ereignis erscheinen, aber nach kosmischen Maßstäben ist die Nachricht noch so neu, dass nicht einmal ein Zweihundertmillionenmillionstel aller Sterne im Universum davon erfahren haben kann.
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