Der entzauberte Regenbogen
aus dem Morgenland. Alle diese Geschichten bereichern die Kindheit und machen sie zusammen mit vielem anderen in der Erinnerung zu einer zauberhaften Zeit.
Dagegen erscheint die Welt der Erwachsenen unter Umständen kalt und öde, ohne Feen und Weihnachtsmann, ohne Spielzeugwelt und Schlaraffenland, ohne die ewigen Jagdgründe, in die geliebte Haustiere eingehen, und ohne Engel, ob in Schutz- oder Erzausführung. Dafür existieren aber auch keine Teufel, kein Höllenfeuer, keine bösen Hexen, keine Gespenster, keine Spukhäuser, keine Geisterbesessenheit, keine schwarzen Männer oder Riesen. Ja, es zeigt sich, dass Teddy und Puppe in Wirklichkeit nicht lebendig sind. Aber es gibt warme, lebendige, sprechende, denkende, erwachsene Bettgenossen, an die man sich kuscheln kann, und für viele ist das eine lohnendere Art der Liebe als die kindliche Zuneigung zu ausgestopftem Spielzeug, so weich und anschmiegsam es auch sein mag.
Nicht richtig erwachsen zu werden, heißt, die «Raupeneigenschaften» aus der Kindheit (wo sie etwas Gutes sind) im reiferen Alter beizubehalten (sodass sie zu einem Übel werden). In der Kindheit ist uns die Leichtgläubigkeit von Nutzen. Sie hilft uns, unseren Kopf außerordentlich schnell mit der Klugheit unserer Eltern und Vorfahren zu füllen. Aber wenn wir zu gegebener Zeit nicht darüber hinauswachsen, machen unsere Raupeneigenschaften uns zur leichten Beute für Astrologen, Psi-Künstler, Gurus, Prediger und Scharlatane. Der Verstand des Kindes ist dazu da, Informationen und Ideen aufzusaugen, nicht sie zu kritisieren. Wenn später die Kritikfähigkeit wächst, dann nicht wegen, sondern trotz der kindlichen Neigungen. Der Schwammcharakter des kindlichen Gehirns ist der nackte Nährboden, das Fundament, auf dem später vielleicht die skeptische Haltung wie ein unterdrücktes Unkraut wachsen kann. An die Stelle der selbstverständlichen Leichtgläubigkeit eines Kindes müssen wir die konstruktive wissenschaftliche Skepsis des Erwachsenen setzen.
Nach meiner Vermutung gibt es noch ein weiteres Problem. Unsere Geschichte vom Kind als Informationsraupe war zu einfach. Die programmierte Leichtgläubigkeit der Kinder hat einen zusätzlichen Dreh, und der erscheint, solange wir ihn nicht verstehen, fast paradox. Kommen wir noch einmal auf das Bild von dem Kind zurück, das so schnell wie möglich von der vorherigen Generation Informationen aufnehmen muss. Wie steht es, wenn zwei Erwachsene, beispielsweise Vater und Mutter, widersprüchliche Ratschläge erteilen? Was geschieht, wenn die Mutter sagt, Schlangen seien lebensgefährlich, und man dürfe niemals in ihre Nähe kommen, während der Vater erklärt, alle Schlangen seien giftig, nur die grünen nicht, und deshalb dürfe man eine grüne Schlange als Haustier halten? Beide Ratschläge sind eigentlich gut. Die allgemeinere Aussage der Mutter hat die gewünschte Wirkung, das Kind vor Schlangen zu schützen, obwohl sie, was die grünen Schlangen angeht, übertreibt. Der Rat des Vaters differenziert stärker und ist in mancher Hinsicht besser, aber er kann sich als tödlich erweisen, wenn er unverändert auf ein anderes Land übertragen wird. In jedem Fall aber kann der Widerspruch zwischen beiden ein kleines Kind in gefährliche Verwirrung stürzen. Viele Eltern geben sich große Mühe, einander nicht zu widersprechen, und das ist vermutlich auch klug. Aber die natürliche Selektion müsste bei der «Konstruktion» der Leichtgläubigkeit eigentlich auch ein Hilfsmittel einbauen, das den Umgang mit widersprüchlichen Ratschlägen ermöglicht – vielleicht eine einfache Prioritätsregel wie «Glaube die Geschichte, die du als erste hörst» oder «Glaube der Mutter mehr als dem Vater und dem Vater mehr als allen anderen Leuten».
Manchmal richten sich elterliche Ratschläge gezielt gegen allzu großes Vertrauen zu anderen Menschen. Die folgende Ermahnung müssen Eltern ihren Kindern unbedingt mit auf den Weg geben: «Wenn ein Erwachsener sagt, du sollst mitkommen, und er sei ein Freund deiner Eltern, dann darfst du ihm das nicht glauben, auch nicht (und gerade nicht) wenn er dir Süßigkeiten verspricht. Mit einem Erwachsenen darfst du nur mitgehen, wenn du und deine Eltern ihn schon kennen oder wenn er eine Polizeiuniform anhat.» (Durch die englische Presse ging kürzlich eine reizende Meldung: Die 97jährige Königinmutter ließ ihren Chauffeur anhalten, weil sie ein weinendes Kind gesehen hatte, das sich offensichtlich verlaufen hatte. Die
Weitere Kostenlose Bücher