Der Erbe der Nacht
einfach nicht erklären konnte es hatte keinen Grund für diese Ohnmacht gegeben. Es war, als hätte etwas in meinem Kopf schnapp gemacht und mein Bewußtsein einfach abgeschaltet. Aber natürlich sagte ich der Polizei davon nichts. Ebensowenig wie von dem, was ich im Inneren der Uhr erlebt hatte, oder vom Inhalt des Safes oder meinem und Großvaters Gespräch. Sie glaubten mir nicht vollständig, das spürte ich genau, aber die offizielle Lesart war, daß es in dem Zimmer einen Brand aus ungeklärter Ursache gegeben hatte, und schließlich war da auch Mary, die jeden heiligen Eid schwor, daß ich unter Einsatz meines Lebens die Tür aufgebrochen und versucht hatte, meinen Großvater zu retten.
Es war lächerlich in den Augen der anderen war ich fast so etwas wie ein Held. Dabei kam ich mir selbst eher wie ein Mörder vor. Nun, vielleicht nicht gerade das aber ich fühlte mich verantwortlich für den Tod meines Großvaters. Irgendwie spürte ich, daß ich es hätte verhindern können.
Es regnete in Strömen, als ich am späten Vormittag aus dem Taxi stieg, das mich von St. Patrick’s Hospital nach Hause gebracht hatte. Trotzdem ging ich nicht sofort ins Haus, sondern blieb vor der Eingangstreppe stehen und sah nach oben. Die zweistöckige Villa war mir noch nie so groß und düster vorgekommen wie in diesem Augenblick. Das Leben hier würde einsam werden, in Zukunft. Ein dumpfer Schmerz griff nach meinem Herzen. Es war wie mit so vielen Dingen
erst jetzt, nachdem ich Großvater unwiderruflich verloren hatte, spürte ich, wieviel er mir bedeutet hatte. Wenn er mir nur gesagt hätte, was er vorhatte, dieser dumme, liebe alte Mann!
Ich ging weiter und suchte gleichzeitig in der Jackentasche nach dem Schlüssel, aber die Tür wurde geöffnet, ehe ich die Treppe ganz überwunden hatte. Es war Mary.
Sie stand da, einen halbgeöffneten Regenschirm in der rechten und unendliche Trauer in den Augen, und ich begriff plötzlich, daß sie mich die ganze Zeit über durch den Spion beobachtet hatte, während ich im Regen stand. Aber sie schien wohl gespürt zu haben, was in mir vorging, und hatte meinen Schmerz respektiert, die gute Seele.
Sie sagte auch jetzt nichts, sondern schloß schweigend die Tür hinter mir. Aber dann ließ sie den Schirm plötzlich fallen, und schloß mich so fest in die Arme, daß ich kaum noch atmen konnte.
»Oh Robert«, sagte sie schluchzend. »Es tut mir so leid.«
Ich wehrte mich nicht; im Gegenteil. Nach zwei Tagen in der sterilen Umgebung des Krankenhauses tat es unendlich gut, einen Menschen zu treffen, der es ehrlich meinte. Erst nach einer geraumen Weile löste ich mich mit sanfter Gewalt aus ihrer Umarmung und wollte weitergehen, aber Mary hielt mich noch einmal am Arm zurück; eine Vertraulichkeit, die sie sich normalerweise niemals gestattet hätte.
»Sie haben Besuch, Sir«, sagte sie, während sie sich mit der Linken eine Träne aus dem Gesicht wischte.
»Vergessen Sie den Sir, Mary«, sagte ich. »Ab heute erhalten Sie Ihre Anweisungen von mir. Und mein erster Befehl lautet, daß Sie mich wieder Robert nennen, wie früher.« Ich versuchte zu lächeln. »Besuch, sagten Sie? Wer ist es denn?«
»Jawohl, Sir … Robert«, antwortete Mary schniefend. »Ein
… ein Gentleman von der Polizei, glaube ich.«
»Polizei?«
Mary nickte. »Er wartet im Salon auf Sie. Schon eine ganze Weile.«
Ich bedankte mich mit einem knappen Nicken, schlüpfte aus dem naßgeregneten Mantel und ging in den Salon hinüber.
Es war nicht ein Gentleman, wie Mary gesagt hatte, es waren zwei. Und zumindest der, der bei meinem Eintreten aufstand und mir entgegenkam, sah eigentlich nicht sehr gentleman like aus. Er mußte über sechs Fuß groß sein, hatte schneeweißes, relativ langes schütteres Haar und Hände mit den Ausmaßen kleiner Schaufeln. Sein Gesicht war breit und kantig und hatte jenen leicht brutalen Zug, den man oft bei sehr großen Menschen antrifft, ohne daß er irgend etwas über ihren wahren Charakter verrät. Er trug einen dunkelgrauen Tweedanzug, brachte aber das Kunststück fertig, selbst darin eher wie ein Clochard auszusehen.
»Mister Robert McFaflathe-Throllinghwort-Simpson?« fragte er.
Ich nickte, ignorierte seine ausgestreckte Hand und musterte kurz seinen Begleiter: ein Scotland Yard-Mann, wie er im Buche stand. Er hatte nicht einmal den obligatorischen grauen Trenchcoat weggelassen.
»Mein Name ist Card«, fuhr der andere fort, nachdem ich mich gesetzt und ihm mit einer
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