Der Erbe der Nacht
unternehmen konnte, ihn zurückzuhalten.
Rowlfs Peitsche knallte, und das absonderliche Gefährt setzte sich schaukelnd und knarrend in Bewegung, wobei eines der riesigen Räder fast den Kotflügel meines Sportflitzers streifte.
Der Anblick der beiden so grundverschiedenen Fahrzeuge brachte mir die Aberwitzigkeit meiner Situation erst richtig zu Bewußtsein. Hätte mir jemand diese Geschichte erzählt, ich hätte ihn glatt für verrückt erklärt. Naja, vielleicht war ich es ja auch.
Ich sah dem Zweispänner nach, bis er verschwunden war, dann drehte ich mich um und ging langsam zum Haus hinüber.
Mary staunte nicht schlecht, als sie mich sah, aber ich wußte nicht genau, worüber sie mehr erschrak über meinen Aufzug oder die gotteslästerliche Zeit, zu der ich nach Hause kam.
Sie verbiß sich jedoch jede dementsprechende Frage, als sie meinen Blick bemerkte. Ich knurrte sie an, eine riesige Kanne ihres Kaffees und ein frisches zu bringen, warf meinen Mantel zielsicher einen halben Yard neben den Haken und stürmte die Treppe hinauf, um das Gegenteil dessen zu tun, was ich H. P.
vor einer Minute in die Hand versprochen hatte: Ich wollte ins Arbeitszimmer meines Großvaters. H. P.s Warnungen in allen Ehren aber der Angriff des wie hatte H. P. ihn genannt?
Schoggothen? hatte mir mit aller Deutlichkeit klar gemacht, daß es hier um mein Leben ging. Und ich habe nie viel von der Bibelzeile gehalten, nach der man auch noch die andere Wange hinhalten sollte, wenn man geschlagen wird. H. P. konnte oder
was wahrscheinlicher war wollte mir nicht sagen, was hier wirklich vorging, also mußte ich auf andere Weise versuchen, die Wahrheit herauszufinden. Zum Beispiel, indem ich einen Blick in ein ganz bestimmtes Buch warf, das in dem Geheimsa-fe hinter dem Bild lag …Zunächst stieß ich allerdings bei meinem Vorhaben auf ein neues Hindernis, in Form eines kleinen, aber äußerst amtlich aussehenden Siegels, das die Tür des Arbeitszimmers verschloß.
Einen Moment lang starrte ich das rot-weiße Stück Papier verwirrt an, dann drehte ich mich herum und brüllte wütend nach Mary. Sie kam so schnell, als hätte sie unten an der Treppe gestanden und nur auf meinen Ruf gewartet.
»Was soll das hier?« fragte ich aufgebracht und mit einer herrischen Geste auf das Siegel. »Wer hat das veranlaßt?«
»Die Polizei, Sir«, antwortete Mary kleinlaut. »Dieser schreckliche Inspektor war wieder hier, gestern nachmittag, kaum daß Sie weggegangen waren. Er … er hat nach Ihnen gefragt.«
»Und?« fragte ich wütend.
»Danach hat er dieses Zimmer versiegelt. Und Sie sollen ihn anrufen, sobald Sie wieder da sind. Und er «
»Und das haben Sie einfach so zugelassen?« brüllte ich fast außer mir.
Mary wich einen halben Schritt zurück und sah mich bestürzt an. »Aber was sollte ich denn tun, Sir?« fragte sie.
Plötzlich tat mir mein grober Ton leid. Ich war gereizt, aber Mary konnte ja nun wirklich nichts dafür; sie am allerwenig-sten. Ich mußte aufpassen, mich nicht zu sehr gehen zu lassen.
»Sie haben recht, Mary«, sagte ich. »Tut mir leid.
Bitte entschuldigen Sie.«
Sie lächelte und war sofort wieder versöhnt. »Das macht doch nichts«, antwortete sie, wurde aber sofort wieder ernst.
»Aber Sie sollten wirklich nicht dort hineingehen, Sir«, fuhr sie mit einer Kopfbewegung auf die Tür fort. »Ich weiß nicht, was er da drinnen gesucht hat, aber er schien sehr aufgebracht.«
»Immerhin ist das hier noch mein Haus, oder?« fragte ich.
Mary nickte. »Sicher. Aber an Ihrer Stelle würde ich nichts tun, was diesen Inspektor Card reizen könnte.
Er scheint mir kein sehr umgänglicher Mensch zu sein.«
Marys Bedenken waren natürlich nur zu berechtigt, ich Card einschätzte, würde es ihm eine wahre Freude sein, mich wegen einer Kleinigkeit wie eines erbrochenen Polizeisiegels zu schikanieren. Trotzdem ich mußte in dieses Zimmer.
»Passen Sie auf, Mary«, sagte ich. »Ich gehe jetzt dort hinein, und Sie warten bis neun, bis die offizielle Bürozeit im Yard anfängt. Dann rufen Sie diesen Card an und erklären ihm ganz aufgeregt, daß eines der Mädchen aus Versehen das Siegel aufgebrochen hat.
Er wird wie der Blitz hierherkommen, und ich selbst werde zehn Minuten nach ihm erscheinen.«
Marys Blick machte deutlich, wie wenig sie von diesem Plan hielt und ganz ehrlich gesagt, erschien er auch mir nicht besonders einfallsreich. Aber ich hatte keine Wahl. »Und jetzt seien Sie ein Schatz und besorgen mir
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