Der Erbe der Nacht
Angriff des Schoggothen noch geglaubt hatte. Ich hatte einen Blick hinter den Vorhang der Wirklichkeit geworfen, und ich hatte gesehen, was dahinter lauerte: der Wahnsinn, und etwas, gegen das alle Schrecken des Todes verblaßten. Es gab eine zweite Wirklichkeit hinter den Dingen, und wenn man einmal bereit war, das zu akzeptieren, dann waren die Folgerungen aus diesem Gedanken schlichtweg entsetzlich. Die Großen Alten. Die Geschichte von Cthulhu und seinen finsteren Begleitern sie war wahr. Es war nicht nur das Buch, das mich zu dieser Überzeugung brachte; nicht nur das, was ich gehört und gelesen und in der vergangenen Nacht selbst erlebt hatte ich wußte es einfach. Später, sehr viel später, sollte ich begreifen, daß dieses Wissen wie so vieles Teil meines magischen Erbes war, aber in diesem Moment verwirrte, ja, erschreckte es mich zutiefst, denn es war von einer Unerschütterlichkeit, für die es keinerlei Rechtfertigung gab. Es hatte all diese und noch schrecklichere Wesen gegeben, zu einer Zeit, lange bevor der Mensch entstanden war, und es gab sie noch, irgendwo, verborgen in den Rissen und Falten der Wirklichkeit, chthonische schwarze Gottheiten, die in den Schatten lauerten und das Tun und Treiben der Menschen mißtrauisch und wachsam verfolgten. Aber was hatte ich damit zu schaffen? Ich versuchte vergeblich, diese Frage und alle anderen finsteren Gedanken zu verscheuchen, schloß die Safetür und hängte das angekohlte Bild notdürftig Wieder an seinen Platz. Mit etwas Glück würde Card nicht einmal bemerken, daß es entfernt worden war. Ich lächelte erleichtert, ging ich die Hocke und streckte die Hand aus. »Komm her, Dicker«, sagte ich.»Du weißt ja gar nicht, wie gut du es hast, von alledem nichts zu ahnen. Nun komm schon.«Merlin ließ ein zustimmendes Miauuu hören, rührte sich aber nicht von der Stelle. Sein Schwanz peitschte nervös, und seine langen, weißen Schnurrhaare zitterten bedenklich.
»Was hast du?« fragte ich. »Nun komm schon!«
Merlin kam nicht. Er wich im Gegenteil rückwärts gehend zurück und blinzelte mißtrauisch zu mir herein. Sein neuerliches Miaaau klang eindeutig klagend, und seine Ohren zuckten wie kleine fellbesetzte Radarantennen unentwegt hin und her.
Ein rascher Schauer durchrieselte mich, als ich begriff, daß der Kater Angst hatte. Nicht vor mir vor diesem Zimmer.
Genauer gesagt, vor irgend etwas in diesem Zimmer. Beunruhigt sah ich mich um, aber es war bis auf die Verwüstungen durch den Brand nichts Außergewöhnliches zu entdecken.
Trotzdem erhob ich mich nach einigen weiteren Sekunden aus der Hocke und ging zur Tür hinaus.
»Hast ja recht, Kleiner«, sagte ich, während ich Merlin beruhigend zwischen den Ohren kraulte. »Das ist kein guter Ort.« Vielleicht spürte das Tier einfach, daß in diesem Raum etwas passiert war.
Ich schloß die Tür, versuchte das beschädigte Siegel wieder notdürftig anzubringen und sah schon nach Augenblicken ein, wie sinnlos dieses Unterfangen war. Gut, Mary würde also Card ihre Geschichte erzählen müssen. Im Moment war mein Interesse für gewisse paranoide Inspektoren von Scotland Yard eher gering.
Ich nahm Merlin auf den Arm und kraulte ihn weiter, während ich die Treppe hinunterging, um mir den versprochenen Kaffee von Mary zu holen. Das Haus war sehr still, obgleich es mittlerweile beinahe neun war, aber die beiden Mädchen waren wohl irgendwo oben beschäftigt. Ich war eigentlich froh darüber, niemandem zu begegnen, denn ich hatte wenig Lust, mitleidige Blicke ertragen oder auf ein mitfühlendes ›Wie geht es Ihnen denn heute, Sir?‹ antworten zu müssen.
Aber es war nicht ganz ruhig. War da nicht eben ein Ge-räusch gewesen? Ich blieb stehen. Lauschte. Es herrschte tiefe Stille, aber trotzdem war ich vollkommen sicher, irgend etwas
ja, was eigentlich? Gehört? Gespürt? Erahnt? zu haben.
Etwas, das nicht in dieses Haus gehörte.
Merlin hörte auf, unter meinen kraulenden Fingern zu schnurren. Seine Ohren spitzten sich, und seine Augen wurden mit einemmal ganz groß.
Alarmiert sah ich auf. Der Blick des Katers irrte unstet über die Treppe über mir, aber da war nichts.
Nur die Schatten.
Schatten, die eine Spur zu tief waren. Schatten, die zu wachsen schienen, langsam, fast unmerklich, und die gleichzeitig dunkler wurden, eine Schwärze annahmen, der etwas Widerna-türliches anhaftete. Mir war, als wäre ein leiser Ruck durch die Wirklichkeit gelaufen, als hätte sich die Realität um ein
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