Der Erbe der Nacht
nicht strafbar. Ist es richtig, daß Sie mit Ihrem Großvater diverse Auseinandersetzungen hatten, was Ihren Lebensstil betrifft?«
Die Frage traf mich völlig unvorbereitet. Ich starrte ihn verdutzt an, dann begriff ich.
»Das stimmt«, sagte ich. »Allmählich beginne ich zu begreifen, Inspektor. Sie denken, ich hätte Mac «.
»Mac?«
»Ich nannte ihn Mac. Das ist kürzer als McFaflathe-Throllinghwort-Simpson«, antwortete ich. »Sie denken also, ich hätte Mac ermordet, um in den Genuß des Erbes zu kommen, wie?«
Card antwortete nicht.
»Ein überzeugendes Motiv«, fuhr ich nach einer Weile fort.
»Immerhin, mein Großvater war ein sehr vermögender Mann.
Die Sache hat nur einen kleinen Kunstfehler, Inspektor.« Ich legte eine Pause ein, um die nächsten Worte gebührend genießen zu können.
»Das Vermögen, dessentwegen ich meinen Großvater Ihrer Meinung nach ermordet haben soll, gehört mir schon längst.«
Card blinzelte.
»Sie haben richtig gehört, Inspektor«, fuhr ich fröhlich fort.
»Das Haus, die Reederei, die Aktien, die Bankkonten, der Landsitz alles gehört mir. Schon seit dem Tag meiner Geburt.
Großvater war nur eine Art Verwalter, wenn Sie so wollen. Es gab überhaupt keinen Grund für mich, ihn zu ermorden. Im Gegenteil. Das wäre ziemlich dumm gewesen.«
Card schwieg eine ganze Welle, und ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie es jetzt in seinem Inneren aussah.
»Ich werde das überprüfen lassen«, sagte er schließlich beleidigt.
»Tun Sie das«, erwiderte ich ungerührt.
»Aber selbst, wenn es stimmen sollte«, fuhr Card fort, »was beweist das? Es bleiben gewisse Fragen, auf die ich eine Antwort finden muß. Und das werde ich.«
Er schüttelte rasch den Kopf, als ich etwas erwidern wollte, und seufzte hörbar. »Nein, sagen Sie es nicht, Sir. Ich weiß, daß Sie von nichts wissen und ein unschuldig Verfolgter sind.
Wahrscheinlich ist alles nur eine einzige entsetzliche Ver-wechslung.« Seine Stimme troff plötzlich vor Hohn und Sarkasmus. »Was glauben Sie, wie viele unschuldig in Verdacht geratene ehrbahre Bürger schon auf dem Stuhl gesessen haben, auf dem Sie jetzt sitzen?«
Nun hatte ich endgültig genug. »Wenn Sie mich irgendeiner Straftat verdächtigen, Inspektor«, sagte ich eisig, »dann reden Sie am besten mit meinem Anwalt weiter. Er wartet draußen.«
Card machte eine wegwerfende Geste. »Hören Sie mit Ihrem Rechtsverdreher auf, Sir.«
»Dr. Gray ist kein Rechtsverdreher!«
Card seufzte. »Schon gut.« Er beugte sich vor, stemmte die Hände vor sich auf den Tisch und sah mich durchdringend an.
»Ich will nicht länger um den heißen Brei herumreden, Sir«, begann er nach einer sekundenlangen Pause mit deutlich veränderter Stimme. »Sir Roderick McFaflathe-Throllinghwort-Simpson ist nicht jemand, der einfach verschwinden kann, ohne daß es weiter auffiele. Einige sagen wir
namhafte Persönlichkeiten Londons haben angefangen, sich Fragen zu stellen. Fragen über Sie.«
»Was wollen Sie damit sagen?« erkundigte ich mich scharf.
»Ich habe gewisse Hinweise bekommen«, sagte Card gelassen. »Jedenfalls werde ich ein Auge auf Sie behalten, verlassen Sie sich darauf.« Er lächelte, blickte einen Moment konzentriert aus dem Fenster, als gäbe es dort etwas ungemein Wichtiges zu sehen, und sah mich dann wieder starr an.
»Sie können gehen, Sir«, sagte er schließlich. »Aber ich darf Sie bitten, die Stadt nicht zu verlassen.«
Ich antwortete nicht gleich. Seine letzten Anspielungen waren mir völlig unverständlich. Von wem in aller Welt konnte er ›Hinweise‹ bekommen haben?
»Überlegen Sie es sich«, fuhr Card fort und stand auf. »Es hat keine Eile. Lassen Sie sich ein paar Tage Zeit, und wenn Sie glauben, daß es besser ist, kommen Sie zu mir und erzählen Sie mir die Wahrheit. Früher oder später finde ich sie ja doch heraus.«
Ich stand ebenfalls auf, starrte ihn einen Moment mit einer Mischung aus Zorn und Niedergeschlagenheit an und ging dann zur Tür, blieb aber noch einmal stehen und wandte mich zu ihm um.
»Diese … Persönlichkeiten, von denen Sie gesprochen haben, Inspektor«, sagte ich, das Wort auf die gleiche eigenartige Weise betonend wie er zuvor, » wer sind sie?«
Card schwieg, und nach ein paar weiteren Sekunden verließ ich endgültig das Büro und trat auf den Korridor hinaus.
Gray, der die ganze Zeit auf mich gewartet hatte, um sofort eingreifen zu können, falls ich in Schwierigkeiten geraten sollte, sprang von der
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