Der Erbe der Nacht
der du zu sein vorgibst.«
Ich starrte ihn an, und H. P. fuhr mit einer raschen, abwehrenden Bewegung fort.
»Es klingt absurd, ich weiß. Aber vor vier Tagen, als wir zu dir kamen, war die Situation ganz anders. Wir hatten dich aufgesucht, verstehst du?«
Ich nickte und sagte: »Nein.«
H. P. lächelte flüchtig. »Du warst zwar höflich genug, es nicht auszusprechen, Robert, aber du hast dich bestimmt gefragt, warum Rowlf und ich in einer solchen Kaschemme hausen.«
»Nun ja …«
»Du hast«, behauptete H. P. überzeugt. »Und mit Recht.
Aber ich will es dir erklären. Wir leben dort, weil es ein sicheres Versteck ist.«
»Ein Versteck? Vor wem?«
»Vor den gleichen Mächten, die auch deinen Großvater getötet haben und jetzt hinter dir her sind, fürchte ich«, antwortete er. »Bisher waren wir dort sicher, aber nachdem wir uns einmal zu erkennen gegeben hatten, mußten wir damit rechnen, daß unsere Gegner …«
»Ich verstehe«, unterbrach ich ihn. »Ihr hattet Angst, daß jemand bei euch auftauchen könnte, der nur so aussieht wie ich, es aber nicht ist.«
»So ungefähr«, bestätigte H. P. »Und so ganz grundlos war dieser Verdacht ja nicht, oder? Immerhin haben sie deine Spur weit genug verfolgt, um dir praktisch vor unserer Haustür auflauern zu können.«
»Aber jetzt bist du überzeugt, daß ich ich bin?« fragte ich.
»Ich meine, du hast keine Angst, daß ich plötzlich zu Brei zerfließe und dich aufsabbere?« Der scherzhafte Ton, in dem ich diese Worte hatte aussprechen wollen, mißlang gründlich.
Und H. P. blieb auch vollkommen ernst.
»Wegen des Überfalles heute morgen?« Er schüttelte den Kopf. »Selbst das könnte eine Falle gewesen sein. Unsere Gegner sind nicht dumm, weißt du? Aber ich habe andere Mittel und Wege, die Wahrheit herauszubekommen. Nein, ich weiß jetzt, wer du bist.
Und ich fürchte«, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu,
»ich weiß auch, was das alles hier zu bedeuten hat.«
»Warum sagst du es mir dann nicht endlich?«
H. P. blickte mich eine geraume Weile schweigend an, und etwas in seinem Blick ließ mich mit einemmal daran zweifeln, ob ich die Antwort wirklich hören wollte. Ich hatte das Gefühl, von einer eisigen, unsichtbaren Hand berührt zu werden. Ein kurzer, rascher Schmerz zuckte wie eine Nadel durch mein Herz.
»Cthulhu«, sagte H. P. schließlich. »Ja. Die Zeit seines Erwachens rückt heran. Aber das«, fügte er rasch hinzu, als er mein abermaliges Erschrecken bemerkte, »muß nichts bedeuten. Diese Wesen rechnen in anderen Zeiträumen als wir. Es kann durchaus noch hundert Jahre dauern, bis es soweit ist.
Oder auch tausend.«
»Oder ein paar Tage«, sagte ich finster.
»Oder ein paar Tage«, bestätigte H. P. ungerührt. Er seufzte wieder, sog an seiner Zigarre und blies eine übelriechende Qualmwolke in meine Richtung. »Aber es gibt einen Weg, das herauszufinden. Wenn du uns hilfst.«
Ich unterdrückte nur mit Mühe ein schrilles Lachen.
»Glaubst du nicht, daß das eine ziemlich überflüssige Frage ist?«
H. P. blieb ernst. »Es kann gefährlich werden, Junge. Zumindest sehr unangenehm.«
»Ach?« sagte ich nur.
H. P. lächelte flüchtig über meinen Sarkasmus, beugte sich vor und nippte an seinem Tee, ehe er fortfuhr. »Es hat mit deinem Vater zu tun.«
»Robert Craven?«
Er nickte. »Ja. Ich habe dir erzählt, daß wir Freunde waren, aber das war nicht die ganze Geschichte.«
Auch das überraschte mich nicht besonders. Aber ich schwieg. Allmählich gewöhnte ich mich daran, die Wahrheit in homöopathischen Dosen zu erfahren.
»Ich kannte deinen Vater kaum fünf Jahre«, fuhr er fort.
»Aber in diesen fünf Jahren haben wir eine Menge zusammen erlebt. Viel mehr, als ich dir jetzt erklären könnte. Dein Vater und ich nahmen den Kampf gegen Cthulhu und die Großen Alten auf, wie viele vor uns.
Du weißt, daß sie ihn getötet haben?«
»Ja.«
»Aber du weißt nicht, wie.« Er seufzte. Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Es gab eine Frau«, sagte er.
»Besser gesagt, ein Mädchen. Ihr Name war Priscilla.
Dein Vater liebte sie. Er und ich sind um die halbe Welt gereist, um sie zu retten. Es ist eine lange Geschichte, aber sie gehört nicht hierher. Trotzdem ist es wichtig, daß du das weißt.«
Priscilla? Wo hatte ich den Namen bloß schon gehört? War das das Mädchen, das ich gesehen hatte?
»Ich will es kurz machen. Irgendwann einmal werde ich dir die ganze Geschichte erzählen, aber jetzt nur so
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