Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
wahrscheinlich zehntenmal, seit ich zurück war. »Dieser Card kann doch nicht im Ernst annehmen, daß ich meinen Großvater ermordet habe!«
    »Offensichtlich tut er es aber«, murmelte H. P. Er sog an seiner Zigarre, sah sich suchend nach einem Aschenbecher um und benutzte schließlich den Fußboden, als er keinen fand.
    Nicht, daß das in diesem Zimmer noch etwas ausgemacht hätte.
    »Und ganz offensichtlich ist er nicht von selbst auf diese Idee gekommen«, fügte er hinzu.
    Mein Gesichtsausdruck verdüsterte sich noch weiter. »Ja.
    Irgendwelche Persönlichkeiten scheinen großen Wert darauf zu legen, mich hinter Gittern zu sehen.«
    H. P. blätterte gelangweilt im Chaat Aquadingen.
    Aus irgendeinem Grund machte mich das nervös, aber ich verbiß mir eine entsprechende Bemerkung.
    Wahrscheinlich war es eher dieses Zimmer, das mich unruhig machte. »Vielleicht kann Gray herausbekommen, wer dahinter-steckt«, fuhr H. P. nach einer Weile fort. »Nicht, daß es etwas ändern würde. Zumal Card in einem Punkt recht hat. Was geschehen ist, war kein Unfall.« Seine Stimme klang seltsam flach und ausdruckslos. »Die Polizei denkt, daß dein Großvater ermordet worden ist.«
    »Ich weiß nicht, was die Polizei denkt«, warf ich ein»Aber Card denkt es.«
    »Und er hat recht«, fuhr H. P. unbeirrt fort. »Es war Mord, Robert. Ein kaltblütiger, berechneter Mord.«
    Seine Worte ließen mich schaudern. Ich hatte gewußt, daß es so war, aber es besteht ein Unterschied zwischen ausgesprochenem und unausgesprochenem Wissen.
    »Aber wie kommt er darauf?« sagte ich hilflos. »Niemand war dabei. Verdammt, niemand würde mir diese Geschichte glauben, selbst wenn ich alles erzählte.«
    »Ich glaube sie«, antwortete H. P. ruhig. »Und ich fürchte, ein paar andere Leute glauben sie auch. Was du mir erzählt hast, paßt hundertprozentig zu dem, was ich vermutet habe.«
    Sein Blick wurde hart, gleichzeitig erschien wieder dieser Ausdruck von Vorwurf darin, mit dem er mich schon die ganze Zeit gemustert hatte und den ich mir nicht erklären konnte.
    »Ich habe noch einmal über alles nachgedacht, während du fort warst«, fuhr er fort. Er zündete sich umständlich eine neue Zigarre an und ließ dann die Hand mit einer erschöpften Bewegung auf den Einband des Chaat Aquadingen hinunterfal-len. »Du hast mir alles erzählt?« vergewisserte er sich. »Du hast nichts vergessen, keine Kleinigkeit? Nichts weggelassen, auch wenn es dir noch so unwichtig erschien?«
    »Bitte, H. P.«, sagte ich. »Kein neues Verhör. Das kann Card besser als du.«
    Der Ausdruck von Sorge auf H. P.s Zügen verstärkte sich noch. Müde beugte er sich in seinem Sessel vor, klappte das Chaat auf und ließ die dünnen Pergamentblätter zwischen Daumen und Zeigefinger hindurchrascheln, als suche er eine bestimmte Stelle, schlug das Buch dann aber mit einem Seufzer wieder zu und sog an seiner Zigarre, bis die Spitze beinahe weiß glühte.
    »Du bist hierher gekommen, um mir etwas zu erzählen, heute morgen«, erinnerte ich ihn, als er keine Anstalten machte, weiterzusprechen.
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Oder doch, ja es ist …
    komplizierter, als du denkst.« Mit einer entschlossenen Bewegung hob er das Buch hoch, trug es zum Regal zurück und ging zur Tür. »Laß uns hinuntergehen«, sagte er. »Was ich dir zu sagen habe, dauert lange.«
    Das war natürlich nicht der wahre Grund in Wirklichkeit, das spürte ich ganz genau, fühlte er sich in diesem verwüsteten Zimmer so unwohl wie ich. Der fast ängstliche Blick, mit dem er die Uhr streifte, als wir das Zimmer verließen, entging mir keineswegs.
    Wir gingen in den Salon, wo Mary bereits einen kleinen Lunch aufgetragen hatte. Auf meine Bitte hin brachte sie mir Kaffee und H. P. eine Kanne starken schwarzen Tee, behandelte ihn aber weiterhin mit eisiger Zurückhaltung. Kein Wunder
    immerhin war er für sie ein Fremder, der sich praktisch in meinem Haus eingenistet hatte. H. P. tat so, als bemerke er ihre Feindseligkeit nicht, wartete aber, bis wir wieder allein waren, ehe er endlich begann: »Gestern abend, Robert, als du zu mir ins Westminster gekommen bist, da hast du mich gefragt, wieso Rowlf und ich uns plötzlich so sonderbar benehmen
    erinnerst du dich?«
    Ich nickte. Natürlich erinnerte ich mich. Es war allerdings nicht die einzige Frage gewesen, auf die er mir nicht geantwortet hatte.
    »Ich will es dir sagen«, fuhr er fort. »Wir mußten sicher sein.«
    »Sicher?«
    »Daß du auch der bist,

Weitere Kostenlose Bücher