Der Erbe der Nacht
Verschmelzung der Siegel möglich gemacht.
Von diesem menschlicher Vorstellungskraft hohnsprechenden Gebilde ging ein Grauen aus, das sich wie ein schleichendes Gift in meine Seele stahl. Der Hauch des Bösen kroch auf dürren Spinnenbeinen durch meine Gedanken. Ich wollte den Kopf abwenden, konnte mich aber von dem Anblick nicht losreißen.
Und unter Priscillas Händen begannen sich die Siegel zu verwandeln.
Ich schrie vor Entsetzen auf.
»Nein!« krächzte ich. »Um Gottes willen … Priscilla, hör auf!«
Sie beachtete mich nicht einmal, sondern fuhr in ihrem schrecklich en Werk fort. Ich besaß nur sechs der sieben Siegel, und um die Großen Alten zu erwecken, waren alle sieben nötig. Und doch geschah es, hier, vor meinen Augen!
Noch einmal versuchte ich mich hochzustemmen, doch nieder gaben meine Beine unter mir nach.
Mit der letzten Kraft der Verzweiflung kroch ich auf Priscilla zu.
Ihr Gesicht war kaum noch zu erkennen, so sehr hatten Wahnsinn und fanatischer Haß es entstellt. Geifer triefte von ihren Lippen, und ununterbrochen murmelte sie finster klingende Worte einer längst untergegangenen Sprache.
Jede Bewegung bereitete mir unvorstellbare Pein, aber mit einer Kraft, von der ich nicht wußte, woher ich sie nahm, zwang ich mich Zoll um Zoll vorwärts. Es war seltsam, je mehr ich mich Priscilla näherte, desto mehr Kraft schien in meinen Körper zurückzukehren. Schließlich lag ich vor ihr, so nahe, daß ich sie mit den Händen berühren konnte. Wieso wich sie nicht vor mir zurück? Wieso floh sie nicht? Wieso wehrte sie mich nicht ab? Ein einziger Tritt, ein Hieb mit dem entsetzlichen Ding, das sich zwischen ihren Händen bildete, sich formte wie ein entsetzlicher chthonischer Embryo, hätte genügt, um das letzte bißchen Leben in mir auszulöschen. Nichts dergleichen geschah. Priscilla stand reglos da und starrte mir mit ihrem haßverzerrten Gesicht entgegen. Da nahm ich all meine Kraft zusammen. Meine Hände packten zu, schlossen sich um ihre Fußgelenke und zerrten daran. Es fühlte sich an, als griffe ich in faulendes nasses fleisch, doch ich ließ nicht los, sondern zerrte mit aller Kraft.
Und das Unglaubliche geschah.
Priscilla stürzte.
Sie wankte, kämpfte einen Moment lang vergebens um ihr Gleichgewicht und fiel schließlich mit hilflos rudernden Armen nach hinten, wobei sie das Siegel fallen ließ. Ohne auch nur zu denken, warf ich mich herum und fing das entsetzliche Gebilde auf.
Meine Hände glitten in weißglühende Lava. Ein unbeschreiblicher Schmerz raste durch meine Arme. Ich brüllte wie ein todwundes Tier und versuchte das schreckliche Ding loszulas-sen, aber es ging nicht.
Meine Hände brannten.
Der Schmerz überstieg die Grenzen des Vorstellbaren, aber ich verlor nicht das Bewußtsein, und ich starb auch nicht. Ich sah, nie meine Haut schwarz wurde, mein Fleisch zu brennen begann und sich in großen nassen Blasen von den Knochen schälte, wie die Flammen meine Unterarme hinaufkrochen, aber noch immer konnte ich das entsetzliche Ding nicht loslassen.
Und es verwandelte sich weiter.
Etwas entstand, wofür ich keine Worte hatte, weil es nichts ähnelte, was ich jemals zuvor gesehen hatte. Etwas unbeschreiblich Entsetzliches, Grauenhaftes.
Und dann hörte ich Priscilla lachen. Leise, fast perlend, aber unglaublich böse. Trotz der furchtbaren Schmerzen sah ich auf und blickte durch einen Schleier von Tränen in das, was einmal ihr Gesicht gewesen war.
»Du Narr«, sagte sie leise. »Du dummer, romantischer Narr.
Hast du es denn immer noch nicht begriffen?«
»Was?« stöhnte ich. Ich konnte noch sprechen!
»Sie verbinden sich«, kicherte Priscilla. »Begreifst du es denn immer noch nicht, Robert? Die SIEBEN SIEGEL DER
MACHT sind wieder zusammengefügt!«
»Aber … wie …« keuchte ich. »Es sind nur sechs. Wo …
wieso …«
»Nur sechs?« Priscilla lachte, ein meckernder, entsetzlicher Laut, der fast schlimmer war als der Schmerz in meinen Händen.
»Nur sechs?« wiederholte sie kichernd. »Ja, verstehst du denn nicht, du Idiot? Das siebente Siegel bist du!«
»Aber warum?« wimmerte ich. »Warum, Priscilla? Ich liebe dich doch!«
»Lieben?« Ihre Lippen verzogen sich zu einem abfälligen Grinsen. »Du Narr«, krächzte sie. »Du willst es wohl nicht begreifen? Ich bin nicht die, für die du mich hältst.«
Ein kaltes, unbeschreiblich böses Lächeln glomm in ihren Augen. Ich konnte vor Grauen nicht den Blick von ihr lösen.
Ja, das war Priscilla, die
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