Der Erbe der Nacht
wie unter einem Peitschenhieb zusammen und sprang auf, so heftig, daß sein Stuhl umkippte und rücklings auf den Boden schlug.
Gray, der direkt neben Lady Audley saß, schrie gellen auf, prallte zurück und riß seine Hand aus der Lady Audleys, und auch Rowlf fuhr mit einem überraschten Keuchen hoch.
Aber es waren nicht die fürchterlichen, unmenschlichen Laute, die den Kreis auf so abrupte Weise gesprengt hatten!
Im gleichen Moment, in dem Lady Audleys Lippen begonnen hatten, jene krausen Lautballungen zu bilden, hatte sich das Licht verändert. Der gelbliche Schein flackerte, war plötzlich von etwas Grünem, Ungreifbarem durchdrungen, und von einer Sekunde auf die andere erfüllte ein geradezu bestialischer Gestank den Raum.
Lady Audley begann zu wimmern. Ihre Lider flogen mit einem Ruck auf, aber der Blick ihrer Augen war trüb vor Entsetzen; sie sah nicht uns, sondern schien etwas unsagbar Schreckliches zu erblicken.
»Robert!« wimmerte sie. »Robert!« Und dann, noch einmal und so gellend und spitz, daß der Schrei mir schier das Blut in den Adern gerinnen ließ: »Robert!«
Die fürchterliche Grünfärbung des Lichtes vertiefte sich, und plötzlich tanzte etwas Bleiches, Formloses wie transparenter Nebel in der Mitte der Tischplatte.
Plötzlich wurde es kalt im Zimmer, schneidend kalt, und ein moderiger, Luftzug streifte mich, wie der Hauch aus einem Grab.
Da ballte sich der Nebel zusammen, wuchs in Augenblicken zu einer zwei Meter hohen, leuchtenden Säule aus wirbelndem Weiß und reiner Bewegung und formte sich zu einer menschlichen Gestalt!
»Robert!« brüllte Lady Audley. Ihre Stimme brach, schnappte über und wurde zu einem hellen, fürchterlichen Kreischen.
Ihre Augen schienen vor Entsetzen fast aus den Höhlen zu quellen, während sie auf die flackernde, halbdurchsichtige Gestalt starrte, zu der sich die Ektoplasmawolke geformt hatte.
Dann geschah etwas Furchtbares. Es ging unglaublich schnell, so rasch wie das Senken und Heben eines Augenlides, und außer H. P. und mir erkannte wohl niemand seine wahre Bedeutung: Aus der Tischplatte unter der weißen Lichtgestalt zuckte ein peitschender, schleimig-schwarzer Arm wie eine glitzernde Schlange empor, drang durch den Nebelkörper und riß ihn mit einer unglaublich harten Bewegung auseinander, so rasch und plötzlich, wie eine Sturmböe den Morgennebel zerreißt. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich einen Schrei zu hören, einen Schrei so voller Entsetzen und Furcht, wie ich ihn nie zuvor in meinem Leben vernommen hatte.
Dann war es vorbei. Der Nebelkörper und der grausame, schwarze Arm waren verschwunden und auch das Licht war wieder normal.
Lady Audley kreischte noch einmal und schlug die Hände vor die Augen.
Und im gleichen Moment spürte ich, wie etwas aus dem Nichts nach mir griff und mein Bewußtsein auslöschte wie ein Windstoß eine Kerzenflamme. Ein schwarzer Schlund aus wirbelnden Bildern tat sich vor meinen Augen auf und riß mich in eine bodenlose Tiefe hinab …
Es war nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ganz und gar nicht.
Ich war Priscilla nach oben gefolgt, und wir hatten getan, was Frischvermählte in ihrer Hochzeitsnacht zu tun pflegen.
Aber irgend etwas lief ganz falsch, von der ersten Sekunde an.
Oh, Priscilla verhielt sich ganz so, wie es ein frischgebacke-ner Ehemann von seiner jungen Frau erhoffen mochte doch gleichzeitig strahlte sie eine Kälte aus, die mir völlig unerklärlich war und die unser erstes Beisammensein zu einer Pflichtübung werden ließ, die mich beinahe anwiderte.
Und als es vorbei war, sah mich Priscilla nur kalt und trotzdem sonderbar zufriedengestellt an und drehte sich wortlos auf die Seite.
Es war keine Zufriedenheit sexueller Art, die ich in ihren Augen las. Es war die Zufriedenheit eines Raubtieres, das nach langer Jagd endlich seine Beute bekommen hatte, nein, schlimmer, die Zufriedenheit einer Spinne, die die Fliege in ihrem Netz betrachtet.
Was waren das für Gedanken?
Verwirrt stand ich auf und ging hinüber in die Bibliothek. Ich wollte einen Brief schreiben, alles einem Freund erzählen, auch um mir selber klarer zu werden, was geschehen war.
Ich hatte erst wenige Zeilen geschrieben, als die Uhr hinter mir zu schlagen begann. Ein tiefer, schwermütiger Gong hallte durch den Raum, berührte irgend etwas in mir und brachte es zum Erzittern. Ich blickte hoch, sah, daß sich die beiden Zeiger auf der Zwölf getroffen hatten, und stand vom Schreibtisch auf, ehe
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