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Der Erbe Dschainas

Titel: Der Erbe Dschainas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asher Neal
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besonderen Geschmack an Produkten, die aus der mörderischen Plackerei der Oberflächenbewohner stammten.
    »Ich habe mich oft gefragt, was für ein Leben man dort oben führt«, sagte Eldene.
    »Oh, dort haben sie es wirklich nett. Sie tragen die Abzeichen des Theismus und debattieren heftig über ihre Glaubenslehren, aber dabei hausen sie wie Könige aus primitiver Zeit.« Fethan drehte sich zu ihr um. »Glaubst du an diesen Gott, den anzubeten euch die Theokratie befiehlt?«
    Beinahe hätte Eldene mechanisch das Glaubensbekenntnis heruntergerasselt: »Ich glaube an den einen wahren Gott, dessen Prophetin Zelda Smythe ist. Ich glaube an die Schöpfung und die Wahrheit des besonderen Ranges, den der Mensch hat. Ich glaube …« Für die Rezitation der kompletten Liste brauchte man gewöhnlich fünfzehn Minuten, und Eldene erinnerte sich an die gerade mal ein oder zwei Gelegenheiten, dass sie sie bis zum Schluss hatte vortragen müssen. Jedenfalls verlangten Proktoren solche Rezitationen normalerweise als Vorspiel zu irgendeiner Bestrafung und fanden normalerweise auch schon während der ersten zwanzig Zeilen einen Fehler als Ausrede, um Prügel zu verabreichen. Zum ersten Mal hielt Eldene tatsächlich inne und überlegte sich, was sie selbst glaubte. Glaube hatte bislang für sie nur bedeutet, religiöse Texte auswendig zu lernen, Morgen- und Abendgebete vor den Kameras der Theokratie zu sprechen und Prügel für Verstöße zu erhalten, die sie nicht begriff: all das ein Gerüst, das sie an die drückende Plackerei und das Elend ihres Lebens band.
    »Ja, das tue ich«, sagte sie, weil ihr keine andere Antwort einfiel.
    »Natürlich tust du das – man hat es dir eingeimpft, seit du geboren wurdest. Aber glaubst du dann auch an das gottgegebene Recht der Theokratie, dein Leben zu regieren?«
    Nach einer Pause antwortete sie: »Nein, das tue ich nicht. Es muss etwas Besseres geben.«
    »Yeah, tut es auch«, sagte Fethan und wandte sich ab, um weiter den Hang hinaufzusteigen.
    »Glaubst du?«, fragte Eldene, während sie ihm folgte.
    »Ich glaube nur an Dinge, die man empirisch nachweisen kann. Nie hat man einen Beweis dafür gefunden, dass ein Gott existiert, und falls man einen solchen Beweis fände, warum zum Teufel sollten wir Gott dann anbeten? Organisierte Religionen sind nur ausgeklügelter Schwindel. Nimm mal die christliche Religion, aus der sich eure herleitet: ›Gehorche mir dein Leben lang, gib mir das Produkt deiner Arbeit, und du gelangst nach dem Tod ins Paradies. Verweigere den Gehorsam, und du kommst in die Hölle und brennst für immer. Natürlich kann ich nicht beweisen, dass es so geschehen wird – du musst einfach glauben. ‹ Das war echt gelungen und hat recht gut funktioniert in einer Gesellschaft, die noch glaubte, die Erde wäre eine Scheibe.«
    »Aber … was ist hier geschehen?«
    »Eine isolierte Gruppe Fanatiker mit hoch entwickelten Methoden psychischer Programmierung … Diese Kolonie hätte innerhalb der Polis nie überlebt, und sie bricht sogar jetzt schon zusammen, wo die Polis nur näher kommt und Informationen durchsickern.«
    »Aber das Universum … wie erklärst du es? Wann hat es angefangen? Was hat davor existiert? Wo endet es, und was liegt dahinter?«
    Fethan warf ihr einen Blick zu. »Fragen, die man in ähnlicher Form auch nach eurem Gott stellen könnte.«
    Eldene dachte darüber nach. Natürlich: Was war vor Gott und was liegt hinter Gott?
    Fethan fuhr fort: »Das größte Eingeständnis des Menschen ist, dass er womöglich nicht die nötige Intelligenz, die nötige Vision, das nötige Begreifen mitbringt, um das Universum vollständig zu verstehen – dass es vielleicht nie einem Menschen gelingen wird. Alles einer allmächtigen Gottheit zuzuschreiben, damit gesteht man sein Versagen nur ein. Man rechne dann noch die Märchen von einem Leben nach dem Tod ein, und es wird sogar ein tröstliches Versagen.«
    Eldene war von jeher klug – sie konnte sich Dinge einprägen und sie verstehen und somit vielen Bestrafungen ausweichen, die ihre Arbeitskollegen erhielten, außer wenn die Strafe von einem Proktor oder Waisenhausverwalter verhängt wurde, der genau an dieser Klugheit Anstoß nahm. Jetzt versank sie in tiefem Nachdenken über die aufgeworfenen Fragen. Fethan hatte gerade völlig unverblümt Dinge ausgesagt, die sie nie zuvor ausgesprochen gehört hatte. Die Oberflächenbewohner hassten inbrünstig die Theokratie und das Joch, unter dem sie schufteten, aber

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