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Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)

Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)

Titel: Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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rissen.“
    Manuel räusperte sich verlegen, nahm das Glas in die Hand und drehte es in Gedanken verloren zwischen seinen schlanken Fingern. Es hörte sich wie eine Entschuldigung an, als er schließlich weitersprach: „Irgendwann verlassen dich die Kräfte und du willst nicht mehr gegen diese Urgewalten ankämpfen. Dir wird klar, dass du sowieso keine Chance gegen sie hast, und willst es bloß noch hinter dich bringen. Irgendwie. Also lässt du los. Und hoffst, dass es schnell vorüber ist.“
    Aber es ging nicht vorüber. Denn er hatte überlebt und bis heute konnte er sich nicht entscheiden, ob er seinen Rettern dafür dankbar sein oder sie verfluchen sollte. Er gehörte zu dem Dutzend Überlebender, welches aus dem Atlantik gefischt wurde. Ihm war das Leben ein zweites Mal geschenkt worden, obwohl er es weiß Gott kaum verdient hatte.
    Trotz der meterhohen Wellen hatten es ihre Retter irgendwie geschafft , einen Teil der Besatzung an Deck des Bergungsschleppers zu bringen. Halb vergessen hatte er in einer Ecke der Messe gesessen und eine seltsame Erschöpfung hatte ihn erfasst. Er war so müde, dass sein Kopf kraftlos vornüber fiel, obwohl er nicht schlief. Niemand kümmerte sich um ihn. Es gab viele, die schwerer verletzt waren. Oder starben. Wie die Stewardess und ein Matrose, die sich bereits in Sicherheit wähnten – bis sie beim Übersteigen vom Rettungsfloß auf den Schlepper abstürzten. Außerdem hatte das Schiff ihrer Retter einiges abbekommen, sodass alle Hände für die dringendsten Reparaturen gebraucht wurden.
    Mit einem Schlag hatte er keine Schmerzen mehr verspürt und ihm war nicht länger kalt gewesen. Es war unwichtig, ob er diesen Zustand dem bitteren Getränk zu verdanken hatte, das man ihm beinahe gewaltsam einflößte, oder ob er sich seine Verletzung lediglich eingebildet hatte. In der Messe war es warm und trocken und ein Gefühl der Unwirklichkeit stahl sich über ihn, während die Stimmen und Geräusche ringsum leiser wurden und letztlich ganz verstummten, obwohl die Hektik nicht nachgelassen hatte.
    Wenn die Anwesenheit der anderen nicht real war, so die kaum nachvollziehbare Logik seiner verwirrten Sinne, dann war es der Untergang möglicherweise genauso wenig wie der Tod, den er gesehen hatte. Emilia, die plötzlich verschwunden war. Die kleine Stewardess, die ins Wasser stürzte, als sie an der Leiter die Bordwand nach oben zu klettern versuchte, und nie wieder auftauchte. Oder die sechs Schiffbrüchigen, die sich auf ein kieloben treibendes Rettungsboot gehievt hatten, im Laufe der Nacht jedoch einer nach dem anderen das Bewusstsein verloren hatten und in die wütende See gerutscht waren.
    Der Chief Mate. All die anderen Toten.
    Als er am nächsten Tag aufwachte, auf dem Boden liegend und zugedeckt mit einer dünnen Decke, hatte das Gefühl der Unwirklichkeit nicht nachgelassen. Das steigende Fieber zermürbte seine Willenskraft und er fiel in einen traumgleichen Zustand, in dem er eine überwältigende Trauer empfunden hatte. Die Versuchung, seinem zerschlagenen Körper zu entfliehen, war so groß gewesen, dass er sich kaum bei Bewusstsein halten konnte. Seine Augen waren weit geöffnet gewesen, sein Geist indes hatte sich bereits auf den Weg in eine andere Welt gemacht. Alles um ihn schien nicht mehr als ein Wachtraum zu sein.
    Nicht einmal er selber schien noch länger zu existieren.
    Irgendwann, Stunden oder Tage später, er wusste es nicht und es interessierte ihn noch weniger, fasste ihn jemand behutsam am Arm. Er spürte, wie sie seinen Körper auf eine Trage legten und er nicht einmal mehr die Kraft hatte, seine Lider zu heben, um zu sehen, wohin sie ihn brachten. Es war ihm egal, solange sie ihn nur in Ruhe ließen.
    Als er wieder zu sich kam, drückten ihn gesichtslose Gestalten behutsam in weiche Kissen. Alles war angenehm sauber, warm und ruhig und da wurde ihm klar, dass er gestorben sein musste. Sanfte Hände zogen an seiner Kleidung und er hörte das Reißen von Stoff. Er konnte sich nicht erklären, warum sie das taten. Ihm fiel allerdings auch kein überzeugender Grund ein, sich den Kopf darüber zu zerbrechen.
    Wie aus weiter Ferne ha tte er seinen nackten Körper in dem weißen Bett in einem weißen Zimmer betrachtet. Aber er konnte es nicht spüren. Vollkommen unbeteiligt verfolgte er die flinken Handgriffe einer jungen Frau in Weiß, die ihn wusch und kämmte, später beobachtete er, wie er aß und redete und irgendwann sogar an Krücken gehen konnte – doch

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