Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
Kräutermeister. Er hatte angenommen, daß der Erzmagier der neunte sei, aber wenn ein neuer Erzmagier gewählt wird, dann treten neun Meister zusammen, um zu beraten.
»Ich glaube, Sie sind der Meister Türhüter«, sagte Ged.
»Ja, der bin ich. Ged, du wurdest in Rok eingelassen, weil du deinen Namen nanntest. Nenne nun meinen Namen, und du wirst von der Schule entlassen werden.« So sprach der alte Mann und lächelte. Ged starrte ihn sprachlos an.
Selbstverständlich kannte er Hunderte von Mitteln und Wegen, um die Namen von Menschen und Dingen herauszufinden. Dieses Wissen war ein Grundbestandteil seines Studiums gewesen, denn wenig Magie käme zustande, wenn es daran mangeln würde. Aber den Namen eines Magiers oder Meisters herauszufinden, war wieder eine ganz andere Sache.
Er war schwerer herauszufinden als ein Hering im Meer und besser beschützt als die Höhle eines Drachen. Der Versuch, den Namen durch einen Trick herauszufinden, würde durch einen stärkeren Trick zunichte gemacht werden, verblümte Anfragen würden genauso verblümt abgebogen werden, und der listige Gebrauch magischer Formeln würde sich katastrophal auf den Handhabenden auswirken.
»Meister, Ihre Tür ist sehr schmal«, sagte Ged schließlich. »Ich glaube, ich muß hier draußen auf dem Acker sitzen und fasten, bis ich dünn genug bin, um durch die Tür zu schlüpfen.«
»Setz dich hin, solange du willst«, antwortete der Türhüter lächelnd.
Ged entfernte sich ein paar Schritte und setzte sich unter eine Erle am Thwilbach. Er ließ seinen Otak im Wasser planschen und im Schlamm des Ufers nach Flußkrebsen jagen. Die Sonne strahlte hell und ging spät unter, denn der Frühling war schon weit fortgeschritten. Laternen und Werlichter brannten hinter den Fenstern des Großhauses; unten am Berg füllten sich die Straßen von Thwil mit Dunkelheit. Eulen stießen ihre heiseren Schreie über den Dächern aus. Fledermäuse flitzten über den Fluß, und noch immer saß Ged da und zerbrach sich den Kopf, wie er den Namen des Türhüters herausfinden könne. Er erwog Gewalt, List und Zauberei. Aber je länger er grübelte, desto sicherer wurde er, daß es unter all den Künsten, die er in den vergangenen fünf Jahren auf Rok gelernt hatte, keine gab, die einem so mächtigen Magier solch ein Geheimnis entreißen konnte.
Er streckte sich auf der Wiese aus und schlief unter den Sternen ein, während es sich der Otak in seiner Tasche gemütlich machte. Nach Sonnenaufgang, immer noch fastend, trat er zur Tür des Hauses und klopfte an. Der Türhüter öffnete.
»Meister«, sagte Ged, »ich kann Ihren Namen nicht mit Gewalt herausfinden, denn ich bin zu schwach dazu, ich kann ihn auch nicht mit Zauberei herausfinden, denn ich bin nicht weise genug. Ich bin daher gewillt, hierzubleiben, um zu lernen oder Ihnen zu dienen, wie Sie wünschen; außer Sie sind bereit, mir eine Frage zu beantworten.«
»Frage!«
»Meister, wie heißen Sie?«
Der Türhüter lächelte und nannte seinen Namen, und ihn wiederholend betrat Ged zum letzten Mal das Großhaus.
Als er es verließ, trug er einen schweren dunkelblauen Umhang, die Gabe des Stadtkreises von Untertorning, seines Reiseziels, denn dort brauchte man einen Zauberer. In der Hand hielt er einen bronzebeschlagenen Stab aus Eibenholz, so groß wie er selbst. Der Türhüter bot ihm den Abschiedsgruß und öffnete die Hintertür des Großhauses für ihn. Es war die Tür aus poliertem Horn und Elfenbein, und Ged schritt die Straße von Thwil hinunter zu dem Schiff, das in der hellen Morgensonne im Hafen auf ihn wartete.
Der Drache von Pendor
WESTLICH VON ROK , zwischen Holsk und Ensmer, den zwei großen Ländern, liegen die Neunzig Inseln. Von Rok kommend, stößt man zuerst auf Serd, während Seppisch, am weitesten von Rok entfernt, fast schon im pelnischen Meer liegt. Ob es wirklich neunzig Inseln sind, blieb bis heute eine Streitfrage. Zählt man nur die Inseln mit Süßwasserquellen, dann kommt man nur auf siebzig; zählt man aber jeden Fels, der übers Wasser ragt, dann kommt man auf weit über hundert. Rechnet man mit der Ebbe und Flut, dann ändert sich die Zahl wiederum, denn schmal sind die Wasserstraßen zwischen den Inseln, und der Gezeitenwechsel, der sich im Innenmeer nur schwach auswirkt, ist hier draußen viel ungezügelter und mächtiger, so daß es Stellen gibt, wo bei Flut drei Inseln liegen, während bei Ebbe eine große Insel sichtbar wird. Aber trotz all der Gefahren, die der
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