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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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man ihn in Ruhe. Er wollte allein sein, denn er fürchtete das Unheil, das er durch Wort oder Tat anrichten konnte.
    Vetsch und Jasper waren beide nicht anwesend, und er fragte nicht nach ihnen. Die Jungen, die er früher angeführt hatte und auf die er hinabgeblickt hatte, waren ihm aufgrund der Monate voraus, die er auf dem Krankenlager verloren hatte. Er mußte jetzt mit Burschen zusammen lernen, die jünger waren als er. Seine Leistungen waren auch nicht mehr hervorragend, denn die Worte der Sprüche und Formeln, selbst die des einfachsten Illusionszaubers, kamen ihm nur stokkend über die Lippen, und seine Hände waren ungeschickt.
    Im Herbst mußte er wieder zum Einsamen Turm gehen und mit dem Meister Namengeber studieren. Das Studium, dem er einst mit Widerwillen entgegengesehen hatte, begrüßte er jetzt. Dort würde er die Einsamkeit und Stille finden, nach der ihn jetzt verlangte. Auch das endlose Auswendiglernen war ihm nun recht, es war ihm jedenfalls lieber als das Wirken von Zaubereien, welche die Macht, die er noch in sich schlummern fühlte, wieder wachrufen könnten.
    Am Abend vor seinem Abmarsch zum Turm kam ein Besucher in einem braunen Reiseumhang mit eisenbeschlagenem Eichenstab zu ihm. Ged erhob sich vor dem Abzeichen des Zauberers.
    »Sperber …«
    Beim Klang der Stimme hob Ged den Blick. Vetsch stand vor ihm, kräftig und fest wie eh und je, sein dunkles, offenes Gesicht sah gereifter aus, aber sein Lachen war unverändert. Auf seiner Schulter hockte ein kleines Tier mit getigertem Fell und blanken Augen.
    »Ich behielt ihn, während du krank warst, und jetzt tut’s mir leid, mich von ihm zu trennen. Aber es tut mir noch mehr leid, dich zu verlassen, Sperber. Ich kehre nach Hause zurück. Hier, Hög! Geh wieder zu deinem wahren Herrn!« Vetsch streichelte den Otak und setzte ihn auf den Boden. Dieser sprang auf Geds Matratze und begann sich mit seiner trockenen braunen Zunge zu putzen, die wie ein kleines Blatt aussah. Vetsch lachte, aber Ged konnte nicht mit einstimmen. Er beugte sich hinunter, um sein Gesicht zu verbergen, und streichelte den Otak. »Ich dachte, du kämst nie mehr zu mir, Vetsch«, sagte er.
    Er hatte keinen Vorwurf beabsichtigt, aber Vetsch antwortete: »Ich konnte nicht kommen. Der Kräutermeister hat mich nicht zu dir gelassen, und den Winter über war ich selbst eingeschlossen beim Meister vom Immanenten Hain. Er ließ mich erst wieder hinaus, nachdem ich mir den Stab verdient hatte. Hör zu: Wenn du hier fertig bist und frei wirst, dann komm in den Osten. Ich warte auf dich. In den kleinen Städten dort läßt sich’s gut leben. Zauberer genießen ein hohes Ansehen.«
    »Frei …«, sagte Ged leise und versuchte zu lächeln, während er leicht die Achseln zuckte.
    Vetsch schaute ihn an. Sein Blick war nicht mehr ganz so wie früher, er war bestimmt nicht weniger liebevoll, aber jetzt lag etwas Zauberisches darin. Seine Stimme klang herzlich: »Du wirst nicht dein ganzes Leben lang an Rok gebunden sein.«
    »Weißt du … ich habe gedacht, daß ich vielleicht bei dem Meister im Turm Forschung treiben sollte wie jene, die in den Büchern und Sternen nach verlorenen Namen suchen. Wenn ich das tue, weißt du, dann … dann kann ich keinen Schaden mehr anrichten, viel Gutes natürlich auch nicht …«
    »Vielleicht hast du recht«, sagte Vetsch. »Ich bin kein Prophet, aber ich sehe in deiner Zukunft keine Zimmer voll von Büchern, wohl aber das weite Meer und feuerspeiende Drachen und die Türme vieler Städte, so wie es nur ein Falke sieht, der hoch und weit fliegt.«
    »Und hinter mir – sag, was siehst du hinter mir?« fragte Ged und erhob sich bei diesen Worten, worauf das Werlicht, das zwischen ihnen über den Köpfen schwebte, seinen Schatten gegen Boden und Wand warf. Dann wandte er sich zur Seite und stammelte: »Erzähl mir von dir, wohin du gehst und was du vorhast.«
    »Ich kehre heim zu meinen Brüdern und zu meiner Schwester, von der ich dir erzählte. Als ich fortging, war sie noch ein kleines Kind, jetzt wird man ihr bald ihren Namen geben – ich kann es kaum glauben! Irgendwo auf einer der kleinen Inseln werde ich dann als Zauberer arbeiten. Oh, Ged, ich bliebe gern hier und würde mit dir schwätzen, aber ich kann nicht, mein Schiff segelt heute abend, und die Ebbe hat schon begonnen. Sperber, wenn du je in den Osten kommst, besuch mich. Und wenn du je in Bedrängnis gerätst, laß es mich wissen, ruf mich bei meinem Namen: Estarriol.«
    Bei

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