Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
sich vor einer Probe seiner Macht. Doch die Gerüchte über Drachen übten eine eigenartige Anziehungskraft auf ihn aus. Auf Gont gab es seit Hunderten von Jahren keine Drachen mehr, und keinem Drachen fiele es ein, in Riech-, Sicht- oder Bannweite von Rok zu fliegen, so daß man sie selbst dort nur aus Büchern kennt. Kurzum, es waren Wesen, über die es viele Lieder gab, aber die keiner je gesehen hatte. Alles, was er in der Schule über Drachen finden konnte, hatte Ged zusammengetragen, aber es ist doch ein Unterschied, ob man über Drachen liest oder ob man sie wirklich sieht. Die Gelegenheit lag nun zum Greifen nahe vor ihm, und er antwortete mit Überzeugung: »Ja, ich will gehen.«
Der Erzmagier hatte genickt, aber sein Blick war umwölkt gewesen. »Sag mir«, sagte er schließlich, »hast du Angst, Rok zu verlassen? Oder freust du dich aufs Fortgehen?«
»Beides, ehrwürdiger Herr.«
Wiederum nickte Genscher. »Ich weiß nicht, ob ich richtig handle, wenn ich dich aus der Sicherheit hier fortlasse«, sagte er mit kaum hörbarer Stimme. »Ich kann deinen Weg nicht erkennen. Alles ist in Dunkelheit gehüllt. Und im Norden ist eine Macht, die es darauf abgesehen hat, dich zu zerstören, aber was es ist und ob es in deiner Vergangenheit oder in deiner Zukunft liegt, kann ich nicht sagen. Alles liegt unter einem Schatten. Als die Leute von Untertorning mit ihrer Bitte zu mir kamen, dachte ich sofort an dich, denn dort, so schien mir, an diesem entlegenen Ort, wärst du sicher und könntest Kräfte sammeln. Aber ich weiß im Grunde genommen nicht, ob du überhaupt irgendwo Sicherheit finden kannst. Ich weiß auch nicht, wohin dich dein Weg führen wird. Ich will dich nicht hinaus in die Dunkelheit schicken …«
Kein Schatten schien auf dem kleinen Haus unter den blühenden Bäumen zu liegen, als Ged es zum erstenmal wahrnahm. Friedlich lebte er dort, oft ließ er den Blick über den westlichen Horizont schweifen, und seine Zauberohren lauschten angestrengt auf das Rauschen schuppiger Flügel. Aber alles blieb ruhig, kein Drache ließ sich sehen. Manchmal angelte Ged von seiner Anlegestelle aus, oder er arbeitete in seinem kleinen Gemüsegarten. Manchmal brütete er über einer Seite, einer Zeile oder einem einzigen Wort in den alten Sagen- und Legendenbüchern, die er von Rok mitgebracht hatte. Er saß dann gewöhnlich im Schatten der Pendickbäume und las, während der Otak neben ihm döste oder in dem hohen Gras zwischen Butterblumen und Margeriten auf Mäusejagd ging. Wenn es die Einwohner von Untertorning wünschten, so half er ihnen als Heilkundiger oder als Wettermacher. Nie fiel es ihm ein, daß es unter der Würde eines Zauberers sein könnte, solche einfachen Künste zu wirken, denn er war als Kind eines Zauberweibes unter ärmeren Leuten als diesen aufgewachsen. Es kam nicht häufig vor, daß sie ihn um Hilfe baten, denn teilweise hielt sie die Ehrfurcht vor dem Zauberer von der Insel der Weisen zurück, teilweise war es Furcht vor seinem wortkargen Wesen und seinem vernarbten Gesicht. Es umgab ihn ein gewisses Etwas, das den Menschen Scheu einflößte. Dennoch fand er einen Freund unter ihnen, und zwar einen Schiffsbauer, der auf dem benachbarten Eiland östlich von Ged wohnte. Er hieß Peckvarry. Sie lernten sich kennen, als Ged an Peckvarrys Landesteg anhielt und ihm zuschaute, wie er den Mast an einem kleinen Segelboot festmachte. Peckvarry lachte und sagte zu dem Zauberer: »Einen Monat hat es gedauert, und meine Arbeit ist fast fertig. Sie hätten dies wahrscheinlich in einer Minute und mit einem Wort geschafft, nicht wahr?«
»Schon möglich«, meinte Ged. »Aber es sänke in der nächsten Minute schon wieder – es sei denn, ich ließe die Illusion andauern. Aber wenn Sie wollen …« Er verstummte.
»Ja, mein Herr?«
»Das Boot, das Sie da haben, sieht wirklich gut aus. Nichts fehlt daran. Aber wenn Sie wollen, dann könnte ich es mit einem Bindespruch gegen Unheil feien, oder ich könnte es mit einem Findespruch festigen, das würde ihm helfen, den Weg zurück nach Hause zu finden.«
Er sprach zögernd, denn er wollte den Schiffsbauer nicht beleidigen. Peckvarry aber strahlte. »Das kleine Schiff hier ist für meinen Sohn, mein Herr, und wenn Sie so gütig wären und es mit solchen Sprüchen festigen könnten, wäre ich Ihnen von Herzen dankbar und würde es Ihnen hoch anrechnen.« Und er kletterte hinauf auf den Landesteg und ergriff Geds Hand, um ihm zu danken.
So begann ihre
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